Lebens­gefährlicher Protest gegen ein korruptes Regime

Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Seit Anfang Oktober ist kein Tag vergangen, ohne dass in der Hauptstadt Bagdad und anderen Städten des Landes Menschen in Massen auf die Straßen gehen. Sie fordern eine Ende des politischen Systems, das sich seit dem Sturz des Langzeit-Herrschers Saddam Hussein durch die US-Amerikaner 2003 etabliert hat. Der wurde zwar nicht durch einen neuen Diktator ersetzt, dafür aber durch ein schwer durchschaubares Geflecht von hochgradig korrupten und an konfessionellen Linien orientierten Seilschaften – ein System, in dem Misswirtschaft floriert und sich auch das schiitische Regime aus dem Nachbarland Iran seinen Einfluss gesichert hat.

Der iranische Einfluss erklärt den explizit nationalistischen Charakter der neuen Protestbewegung im Irak. Viele der Demonstrierenden wollen nicht nur die eigene korrupte Politiker-Elite loswerden. Sie wenden sich auch gegen das Mitmischen Teherans. Erst vergangene Woche brannte das iranische Konsulat in der südirakischen Stadt Nadschaf. Seit 2014 konnten die sogenannten Volksmobilisierungs-Milizen, die dem Iran nahestehen, durch den erfolgreichen Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) Ansehen und auch politische Macht im Irak erringen. Mittlerweile haben sie Teile des irakischen Staats unterwandert und vor allem über das Büro von Ex-Regierungschef Adel Abdul Mahdi an Einfluss gewonnen.

Abdel Mahdi allerdings konnte dem Druck nicht standhalten. Er trat nach einer blutigen Eskalation der Gewalt bei den Protesten Ende November zurück. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltet sich schwierig, denn dabei wollen alle mitreden: die zerstrittenen schiitischen Parteien, die kurdische Autonomieverwaltung im Nordirak und nicht zuletzt der Iran.

Am Donnerstag besetzten Tausende Anhänger der schiitischen Hasched-al-Schaabi-Milizen das zentrale Protestlager der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Bagdad. Die Männer trugen irakische Flaggen oder das Emblem der paramilitärischen Einheit. Viele der Demonstranten reagierten beunruhigt auf den Aufmarsch der Männer, doch blieb es zunächst ruhig.

Seit Beginn der Proteste im Oktober wurden nach UN-Angaben über 400 Menschen getötet und mehr als 19.000 verletzt – ein Großteil davon Protestierende. Human Rights Watch schlug am Mittwoch Alarm. Sicherheitskräfte würden weiterhin tödliche Gewalt gegen Demonstranten einsetzen. „Die Regierung muss den unrechtmäßigen Tötungen ein Ende bereiten und erklären, warum es seine eigenen Kräfte nicht unter Kontrolle hat“, sagte die Nahost-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, Sarah Leah Whitson. Die UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Jeanine Hennis-Plas­schaert, sagte, die ­Demonstrierenden würden einen „unvorstellbaren Preis“ dafür zahlen, dass sie ihre Meinung äußern.Jannis Hagmann