Crossschläge gegen Diskriminierung

ROLLSTUHLTENNIS Kurz vor den Paralympics präsentiert sich die Berlinerin Katharina Krüger bei den German Open in Form für London

■ Am Mittwoch um 21.30 Uhr werden die Paralympics in London eröffnet. An zwölf Wettkampftagen werden sich rund 4.200 Sportler und Sportlerinnen mit Handicap in 21 verschiedenen Disziplinen messen. Die TeilnehmerInnen kommen aus 165 Nationen.

■ Aus Berlin werden 20 StarterInnen antreten: Marianne Buggenhagen,Tobias Schneider, Matthias Schröder, Niels Stein, Thomas Ulbricht (Leichtathletik), Katrin Splitt (Rudern), Julia Kabus, Christiane Reppe, Verena Schott, Daniela Schulte, Niels Grunenberg, Lucas Ludwig, Sebastian Iwanow (Schwimmen), Jan Gürtler (Tischtennis), Jens Kroker, Siegmund Mainka, Robert Prem (Segeln), Peter Schlorf (Sitzvolleyball), Leopold Rupp (Sportschießen). Katharina Krüger startet von Freitag an in den Tenniswettbewerben (Einzel und Doppel). (jut)

VON JENS UTHOFF

Katharina Krüger klemmt sich einen Ersatzball aus Filz zwischen die Speichen und fährt zum Aufschlag. Etwa einen Meter hinter der Grundlinie wirft sie den Ball hoch und serviert. Es folgt ein rasanter Ballwechsel: Krüger fährt an der Linie hin und her, wendet blitzschnell und rückt nach einer Topspin-Rückhand zum Netz auf. Ihre niederländische Gegnerin Dorrie Timmermans kann dem Ball nur hinterherschauen. „Come on!“, feuert Krüger sich selbst an. Von da an läuft es im Halbfinale bei der 22-Jährigen. Sie gewinnt in zwei Sätzen. Finale!

Für die Spandauerin Krüger sind die internationalen German Open auf der Anlage des BTTC Grün-Weiß in Lichterfelde eine wichtige Generalprobe: Ab kommenden Freitag startet die Weltranglisten-13. im Rollstuhltennis bei den Paralympics in London. Mit dem Erreichen des Finales gelingt ihr letzter Test; erst dort muss sie sich am Sonntag der Chilenin Maria Antonieta Ortiz mit 6-7, 6-3, 3-6 geschlagen geben.

Kämpft die 1,50 Meter große Krüger auf dem Platz um jeden Millimeter, dann strahlt sie Leidenschaft und unbedingten Willen aus. Sie ist eine, der man zutrauen würde, die Sportarten für Menschen mit Handicap aus ihrem Nischendasein zu befreien. London ist auf diesem Weg die nächste Etappe. „Für uns sind die Paralympics neben den Grand-Slam-Turnieren der absolute Höhepunkt. Da werden wir als Sportler wahrgenommen, die eben zusätzlich noch eine Behinderung haben.“ Und nicht als behinderte Menschen, die Sport treiben.

Bei der Schlagkraft, die die 16 Athleten und 8 Athletinnen in Lichterfelde an den Tag legen, merkt man schnell, dass hier hochklassiger Leistungssport gespielt wird. Dennoch sagt Krüger: „Rollstuhltennis hat in Deutschland keine allzu große Lobby.“ Dies bessere sich langsam: „Das merkt man etwa daran, dass Reporter als Erstes nach der sportlichen Leistung fragen und die Behinderung eher am Rande erwähnt wird.“ Trotzdem ist es ein langwieriger Prozess zur Inklusion: Die Zehlendorfer Wespen, ihr Klub, sind die einzigen in Berlin, die regelmäßig Rollstuhltennis spielen.

Auf dem Platz hadert Krüger mit sich, als das Match gegen Dorrie Timmermans im ersten Satz auf der Kippe steht. Ihre Gegnerin, die mit einer Handprothese spielt, drischt ihr einen Crossschlag um die Ohren. Krüger schimpft mit sich: „Mann, fahr doch hin und guck nicht nur zu!“ Den ersten Satz gewinnt sie knapp. Von da an läuft es: Ihre Aufschläge kommen besser, auch ihre Returns werden zur Waffe. Sie fährt besser auf die Bälle zu, ihr „Come on!“ hört man nun häufiger.

Die Hand, in der Krüger den Schläger hält, ist direkt nach dem Schlag wieder am Rad des Rollstuhls. Sofort heißt es zurückfahren und sich in eine gute, mittige Position bringen. Und dann wieder: Richtungswechsel, beschleunigen, abstoppen, Position einnehmen. Und zwischendurch einen Topspin raushauen. „Wir müssen halt noch mit einem Sportgerät mehr auf dem Platz klarkommen“, sagt Krüger. Die Tennis-Rollstühle sind speziell für diesen Sport entwickelt worden, jeder ist für den Athleten maßangefertigt. Mittlerweile haben sie fünf statt vier Räder – damit sie noch wendiger sind. Ihre Beine fixiert Krüger mit Gurten, damit sie sich beim Fahren nicht bewegen.

„Eigentlich ist sonst vieles wie im Fußgänger-Tennis auch“, sagt Krüger. Fußgänger sind in diesem Fall die Spieler ohne Handicap. Der einzige Regelunterschied ist, dass die Filzkugel bei den Rollifahrern zweimal aufticken darf. Psychotricks und Rivalität, Wutausbrüche auf dem Platz, die Allüren, die zum Tennissport dazugehören – all das findet man an diesem Wochenende in Lichterfelde genauso wie in Wimbledon. „Klar, es ist auch knallharter Wettbewerb, jeder will gewinnen.“ Krügers Ziel ist es, unter die Top Five der Welt zu kommen.

Zwischen 20 und 25 Turniere spielt Katharina Krüger im Jahr

Die Spandauerin ist von Geburt an querschnittsgelähmt. Seit sie sieben Jahre alt ist, spielt sie Tennis, ihre Familie nimmt sie früh mit auf den Platz. Mutter Petra ist bis heute ihre Trainerin. Zwischen 20 und 25 Turniere spielt Krüger im Jahr – und studiert gleichzeitig an der Humboldt-Universität Rehabilitationspädagogik. Sie will später in einer Klinik arbeiten und andere Menschen mit Handicap bei Reha-Maßnahmen begleiten.

Ihre Tennis-Touren finanziert sie mithilfe ihres Klubs, vor allem aber durch Sponsoren. „Das bleibt eine schwierige Sache“, sagt die 22-Jährige. „Viele Firmen können mit Rollstuhltennis noch nichts anfangen.“ Mit den Preisgeldern kommt man nicht weit: 350 Euro gewinnt Krüger in Berlin, die Siegerin kriegt 500 Euro.

Eine Medaille bei den Paralympics wäre da nicht die schlechteste Werbung in eigener Sache, im Doppel mit Sabine Ellerbrock sind die Medaillenchancen gut. In London spielen die Paralympioniken übrigens nicht in Wimbledon wie bei den Olympischen Spielen, sondern in Eton Manor auf einem Platz, der nur für die Paralympics errichtet wurde.