Katrin Seddig
Fremd und befremdlich
: Alle Argumente gegen das Demonstrieren machen mir schlechte Laune

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Am Freitag war ich in Hamburg auf der großen Klima-Demo. Es war ja dieser Freitag auch der Black Friday, den es in meiner Wahrnehmung erst seit einigen wenigen Jahren gibt, und an dem ich noch nie etwas gekauft habe. Und an einem Black Fridayden Verkehr in der Hamburger Innenstadt lahmzulegen, ist sogar noch besser, als dies an jedem anderen Tag zu tun. Denn diese perverse Konsumparty verhöhnt jede Bestrebung, die Welt noch irgendwie zu retten. Shoppen bringt uns alle um.

Ein paar Jungmänner, zwanzig, fünfundzwanzig, standen mit ihren Black-Friday-Shopping-Paketen von Saturn in den Armen und verhöhnten eine Gruppe achtjähriger Demonstranten: „Ihr seid doch noch viel zu klein für diesen Scheiß!“ Die Achtjährigen blieben still. Was sollten sie auch dazu sagen? Ich starrte die Jungmänner mit ihren Saturn-Paketen an, was sollte ich dazu sagen? Zu klein? Scheiß? Wofür zu klein?

Es gibt so viele Argumente gegen das Demonstrieren. Man findet sie in den Kommentarspalten. Man könnte sie sammeln und kategorisieren, wenn man schlechte Laune bekommen möchte oder ein echtes soziologisches Interesse hat. Manche sammeln Kronkorken. Die Argumente gegen das Demonstrieren sind aber gar nicht so vielfältig, wie Kronkorken und schon gar nicht so wie Briefmarken. Es gibt ja unendlich viele Briefmarken, aber den Menschen fallen ungefähr drei Gründe gegen das Demonstrieren ein.

Einer der wichtigsten Gründe gegen das Demonstrieren ist: Zu Hause wohnen. Ich lese es immer wieder in allen Varianten, wie dieses Argument mit aller Schärfe und voller Hohn gegen das Recht zum Demonstrieren angebracht wird. Bei Achtjährigen scheint es offensichtlich, bei Achtzehnjährigen wird es böswillig vermutet: Zu Hause wohnen und demonstrieren wollen! Das geht offensichtlich nicht zusammen. Wer zu Hause wohnt, kann doch nicht ernsthaft glauben, dass er demonstrieren darf. Wer zu Hause wohnt – bei seinen eigenen Eltern! – ist als demonstrierender Mensch unmöglich. Wer zu Hause wohnt, darf keine Meinung haben, kein Anliegen vertreten, sich nicht politisch äußern.

„Bei Mama und Papa wohnen“, heißt dieses Argument häufig, und soll die Menschen, die sich engagieren, herabsetzen, gegenüber den Menschen, die nicht mehr bei Mama und Papa wohnen, und sich deshalb eine eigene Meinung leisten können. Ich weiß nicht, ob es in den Augen dieser Das-zu-Hause-Wohnen-Verurteilenden okay wäre, in einem Kinderheim zu leben? Kinderheimkinder, dürfen die eine eigene Meinung haben?

Ein anderes Argument gegen das Recht zu Demonstrieren ist der Bezug von Hartz IV. Man kann das den Leuten natürlich nicht ansehen, aber es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermutet, dass Leute, die sich für den Umweltschutz einsetzen, Bezieher von Hartz IV sind. Als solche sollte es ihnen natürlich nicht gestattet sein, zu demonstrieren. Das leuchtet einem doch ein. Es geht ihnen mit Hartz IV ohnehin so gut, dass sie keine Rechte haben sollten, wie zum Beispiel das Recht, zu demonstrieren.

Zu Hause wohnen und demonstrieren wollen! Das geht nicht zusammen!

Der Grund, der eigentlich die anderen beiden Gründe ein bisschen mit einschließt, der Hammergrund, warum man auf gar keinen Fall demonstrieren oder sich politisch engagieren dürfen soll, lautet stets: Weil man nicht arbeiten geht. „Die gehen alle nicht arbeiten“, heißt das. Eigentlich kann das gar keiner wissen, ob ein anderer Mensch, den man irgendwo auf der Straße sieht, arbeiten geht, aber die Leute, die diesen Hammergrund anbringen, die wissen es sehr wohl, dass sich politisch engagierende Menschen auf keinen Fall arbeiten gehen.

Fasste man diese Forschungsarbeit zusammen, würde man zu folgendem Ergebnis kommen: Das Demonstrieren sollte nur Menschen erlaubt sein, die vierundzwanzig Stunden am Tag ihrer Arbeit nachgehen, nackt in einer Erdhöhle wohnen und niemals den Wunsch verspüren, zu demonstrieren.