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Archiv-Artikel

„Die kennen mich bloß nicht“

„Frau Thomas Mann“ (23.00 Uhr, ARD): Ein präzises und anschauliches Porträt der zurückhaltenden, aber widerständig-robusten Schriftstellergattin Katia Mann

Zunächst wirkt es wie ein filmischer Kniff, damit das Wesentliche besser zur Geltung kommt: ein Schwenk über eine Straße, ein Blatt Papier in einer Schreibmaschine und Katia Mann, die den Zürcher Behörden schreibt, bei einem Unfall einen Seitenspiegel abgefahren zu haben. Unübersehbar der Briefkopf, auf dem steht: Frau Thomas Mann.

Als solche ist Katia Mann in die Literaturgeschichte eingegangen, solcherart ist auch die Filmdokumentation von Birgit Kienzle über Katia Mann betitelt, frei von hinterlistigen Zuschreibungen. Kurz darauf erzählt Frau Mann in einem von der Schriftstellerin Elisabeth Plessen 1969 geführten Interview, dass sie sich nie nach vorn gedrängt hätte und gern die Frau im Hintergrund geblieben sei. So ist das Feld früh abgesteckt, wird klar, dass hier nicht krampfhaft ein feministisches Rollenmodell herausgearbeitet werden soll und auch keine tragische Frauenfigur, die in ihren „Ungeschriebenen Memoiren“ den melancholischen Satz gesagt hat: „Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hatte tun wollen.“

Trotzdem werden Brüche und charakteristische Robustheiten von Katia Mann in Kienzles linear erzählten und von Gewährsleuten wie Inge Jens und Marcel Reich-Ranicki begleiteten Porträt gut deutlich. Etwa wie sie wegen psychosomatischer Beschwerden einen Kuraufenthalt in Davos verbringt (wichtigster Erfahrungshintergrund für den „Zauberberg“ !); wie sie die Emigration aus Deutschland vorantreibt oder sie es schafft, in den USA neue Häuser aufzutun, Haushalte zu führen und mit weit über fünfzig noch das Autofahren zu erlernen; wie sie immer maskuliner wurde (was man auch in dem Interview, bei dem sie 85 Jahre alt war, gut sieht) und eine ideell erotische Beziehung führt zu einer Freundin aus Princeton, Molly Shenstone.

Nach dem Tod ihres Mannes lebte Katia Mann noch 25 Jahre; Jahre, in denen sie sich etwa bei Ulbricht und Chruschtschow standhaft mit Briefen für den ausgebürgerten Schriftsteller Walter Janka einsetzte. Oder in denen sie weiterhin beharrlich Auto fuhr und Polizisten, die sie anhielten, mit dem Wörtchen „Unverschämtheit!“ anpflaumte und bemerkte: „Die kennen mich bloß nicht.“ GERRIT BARTELS