: „Anschein einer Normalisierung“
In Rotenburg/Wümme veranstaltet die Bundeswehr heute ein öffentliches Rekrutengelöbnis. Stefan Klingbeil hat eine Protestkundgebung dagegen angemeldet
Interview Reimar Paul
taz: Herr Klingbeil, was spricht gegen das Gelöbnis?
Stefan Klingbeil: Öffentliche Gelöbnisse sind Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr. Daneben präsentiert sie sich an Schulen, an Bushaltestationen, mit einem überdimensionalen Plakat im Hauptbahnhof Bremen. So wird der öffentliche Raum zunehmend militarisiert. Die Präsenz soll bei uns zivilen Bürgern den Anschein einer Normalisierung des Soldaten erwecken. Bei der Bundeswehr handelt es sich aber nicht um eine zivile, friedliche Institution. Deutschland soll weltweit immer mehr in kriegerische Handlungen einbezogen werden.
Die Bundesregierung argumentiert, Deutschland müsse, auch weil sich die USA zurückziehen, mehr – auch militärische – Verantwortung in der krisenhaften Welt übernehmen.
Die Bundesregierung argumentiert gegen den Mehrheitswillen in Deutschland. Je nach Befragung lehnen 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung Auslandseinsätze weiterhin ab. Das muss die Regierung zur Kenntnis nehmen. Hier geht es schließlich um die Entscheidung zur Waffengewalt – laut Grundgesetz nur zur Verteidigung erlaubt. Wir teilen auch nicht die Interpretation, dass Verteidigung auch Verteidigung von Rohstoffquellen, Verkehrswegen und Wirtschaftsinteressen bedeuten kann. Konservative Kräfte argumentieren die Legitimation der Aufrüstung. Da kommt die Ankündigung der USA ziemlich recht. Was stellt sich die Bundesregierung denn vor? Sollen Deutschland und Europa nun den Platz der USA einnehmen und überall nach „Selbstermächtigung“ eingreifen?
Könnten Bundeswehreinsätze im Ausland nicht auch sinnvoll sein? Zum Beispiel, wenn es um eine wirkliche Schutzzone für die Kurden in Syrien ginge.
Stefan Klingbeil, 32, ist Kreisvorsitzender der Linkspartei in Rotenburg/Wümme und arbeitet in einem Bündnis gegen Rassismus mit.
Durch friedliche Beiträge könnte die Bundesregierung mehr bewirken als mit Kampfeinsätzen im Ausland, die sich oft jahrzehntelang hinziehen und nichts als Chaos und Not mit sich bringen. Der Vorschlag für eine Schutzzone nimmt den Vorwand der Türkei von einer „Bedrohung durch die Kurden“ auf – von einem Schutz für die Kurden vor dem Angriff des Nato-Partners und seiner dschihadistischen Helfer ist nicht die Rede. Es ist reine PR der Verteidigungsministerin. Dass die Türkei konkret in den Norden Syriens einmarschieren wollte, war seit Jahren bekannt. Das wurde sowohl von der Bundesregierung als auch der Nato ignoriert bis hingenommen. Eine friedliche Konfliktlösung hätte vor Jahren angestrebt werden können, zumal die Gewalteskalation von einem Nato-Mitglied, der Türkei, ausgegangen ist.
Was für eine Protestaktion ist am morgigen Dienstag geplant?
Es wird in der Innenstadt eine Kundgebung geben, bei der wir über die oben genannte Strategie der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr informieren werden, außerdem sammeln wir Unterschriften gegen die Erhöhung des Rüstungsetats. Und wir wollen laut unsere Unzufriedenheit gegenüber dem öffentlichen Gelöbnis zum Ausdruck bringen. Das Gelöbnis findet einige hundert Meter entfernt statt. Bislang sind wir eine überschaubare Menge an Menschen, da mache ich mir nichts vor. Schön wäre eine spontane Zunahme von Teilnehmenden, die die Straße füllt.
Treffen für die Protestaktion: 11 Uhr, Geranienbrücke/Große Straße. Die Soldaten stellen sich ab 12 Uhr in der Straße Am Wasser auf, um dann zum Pferdemarkt zu marschieren
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