Zeugnis

Die Halbzeitbilanz der Regierungsarbeit der Großen Koalition
das findet die Groko
das meint die taz

Europa

Nach unserer Ansicht ist die deutsch-französische Partnerschaft weiter eine „tragende Säule für den Fortschritt in Europa“ – immerhin haben wir im Januar den Vertrag von Aachen unterzeichnet. Mit Frankreich haben wir uns auch auf Eckpunkte für Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion verständigt. Ein wichtiges Element: das Eurozonenbudget. Nicht zu vergessen unser Einsatz für ein faireres Steuersystem: Ebenfalls mit Frankreich haben wir eine Initiative unter anderem zur „effektiveren Besteuerung großer globaler Digitalunternehmen“ gestartet.

In Brüssel wartet man immer noch auf den „Aufbruch für Europa“, den die Groko im Koalitionsvertrag versprochen hatte. Auch die deutsch-französische Partnerschaft lässt aus EU-Sicht zu wünschen übrig. So hat die Bundesregierung das Eurozonenbudget seiner Funktion beraubt, die Währungsunion zu stabilisieren. Es wurde derart beschnitten, dass es kaum noch ins Gewicht fällt. Außerdem hat Berlin eine EU-weite Internetsteuer verhindert. Frankreich sah sich deshalb genötigt, einen ­Alleingang zu wagen. (ebo)

Flucht & Migration

Die Migration wird besser gesteuert und geordnet, wir bringen Integration und Zuwanderung voran. Damit geben wir eine Antwort auf internationale Migrationsbewegungen und den Fachkräftebedarf in Deutschland. Wir haben den Rahmen für bedarfsgerechte Zuwanderung geschaffen. Der Fokus liegt auf Erleichterungen für qualifizierte Fachkräfte. In den Anker-Einrichtungen werden alle Prozesse des Asylverfahrens unter einem Dach gebündelt. Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz hilft, bestehende Ausreisepflichten besser durchzusetzen.

2018 fiel Seehofer vor allem dadurch auf, dass er sich in Sachen Asyl auf Merkel einschoss und auf (illegale) Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen bestand. Statt seines „Masterplans“ blieb der Ausspruch, Mi­gration sei die „Mutter aller Probleme“ haften. Der Ton ist heute ­anders. Das Zuwanderungsgesetz erkennt an, dass Deutschland Einwande­rungsland ist, bietet aber keinen „Spurwechsel“ für schon hier Lebende. Die Asylpolitik kennzeichnen „Ankerzentren“ und das „Hau ab“-Gesetz. (cja)

Innere Sicherheit

15.000 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden sind auf den Weg gebracht worden, 2.000 für Richter:innen. Für die Cybersicherheit wurde das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ausgebaut. Deutsche, die als Terroristen im Ausland kämpfen, können nun die Staatsangehörigkeit verlieren. Sein Haus baulich gegen Einbruch zu sichern wird ab 2020 gefördert. Und: Gerade geht die Groko gegen Rechtsextremismus vor, etwa durch eine Meldepflicht für Provider bei Hasspostings oder durch die Verschärfung des Waffenrechts.

Innenminister Horst Seehofer fand erst nach den rechten Attentaten in Kassel und Halle klare Worte über den Rechtsextremismus. Das Maßnahmenpaket kommt spät – und vieles ist erst Ankündigung. Die Stellenaufwüchse bei den Sicherheitsbehörden muss der Bundestag noch genehmigen. Offen auch: Wie arbeiten die Behörden im Kampf gegen Terror besser zusammen? Wer hat den Hut auf, wenn es um die Bekämpfung von Cyberangriffen geht? Gänzlich weg duckt sich Seehofer bei ­Zurückholungen ausgereister IS-Kämpfer.(ko)

Arbeit & Soziales

Unsere Erfolge: Wer Teilzeit arbeitet, hat jetzt das Recht, wieder in den alten Vollzeitjob zurückzukehren. Der Mindestlohn ist auf 9,51 Euro gestiegen. Rund 33.000 Langzeitarbeitslose haben nun subventionierte Jobs. Es gibt zudem mehr Unterstützung für Weiterbildung in Branchen, die sich wandeln. In der Paketbranche sind die großen Firmen für ihre Subunternehmer verantwortlich.

Das alles sind kleine Trippelschritte, um den Arbeitsmarkt wieder etwas stärker zu regulieren und Arbeitnehmer:innen besserzustellen. Kein Wunder, dass die Gewerkschaften die Groko gut finden, die Arbeit­geber jedoch nicht. Trotzdem fehlt noch etwas: Der Mindestlohn muss stärker steigen, auf 12 Euro. Nur so lassen sich Armutsrenten und die Arm-reich-Spaltung bekämpfen. (sr)

Familien & Kinder

Kindergeld und Kinderzuschlag wurden erhöht: „Wir wollen Familien stark machen“, schreibt die Groko. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, wurde eine Fachkräfteoffensive für Erzieher:innen gestartet. Noch kommen soll die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, zudem soll die Ganztagsbetreuung gefördert werden. Ein runder Tisch gegen Gewalt gegen Frauen mit VertreterInnen von Bund, Ländern und Kommunen soll bis 2020 Vorschläge erarbeiten.

Frauen sind der Groko nicht einmal eine eigene Überschrift wert – das sagt eigentlich schon alles. Gleichstellungspolitisch waren schon die Ziele maximal unambitioniert: Weder ein Paritätsgesetz noch die Abschaffung des Ehegattensplittings war überhaupt vorgesehen. Auf der Habenseite stehen nur die Brückenteilzeit, von der allerdings zu wenige Frauen profitieren, und das Programm „Gewalt gegen Frauen“. Ansonsten? Der Paragraf 219a ist erhalten geblieben. (pat)

Bildung & Forschung

Wir, die Regierung, haben den lange versprochenen Digitalpakt mit den Ländern geschlossen, damit sie ihre Schulen mit WLAN, Lernplattformen und Tablets ausstatten können. Die 5 Milliarden Euro, die wir den Schulen in den nächsten fünf Jahren zur Verfügung stellen, muten fast gering an angesichts der Summen, über die sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den kommenden 10 Jahren freuen dürfen: 160 Milliarden Euro für gutes Studium, gute Lehre und tolle Forschung. Auch an die Studierenden wurde gedacht – der Bafög-Höchstsatz beträgt nun 853 Euro.

Die Groko hat sich bemüht. Der Fortsetzung der Wissenschaftspakte waren zähe Verhandlungen mit den Ländern vorausgegangen, desgleichen beim Digitalpakt, der eigentlich 2017 schon ausverhandelt vorlag. Letztendlich waren auch die Länder am Erfolg interessiert. Die Bafög-Reform war überfällig, nachdem die Zahl der Empfänger:innen auf einen historischen Tiefstand gesunken war. Das Ergebnis ist nur im Vergleich dazu gut – der Realität hinkt die Reform hinterher. Das Programm für Brennpunktschulen ist mit einem Umgang von 12,5 Mio. Euro pro Jahr ein Witz. (ale)

Klima &Energie

Das haben wir wirklich toll gemacht: Die Kohlekommission hat den Kohleausstieg beschlossen (das Gesetz kommt 9 Monate später). Die Regierung hat das Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht, mit dem das Klimaziel für 2030 ganz sicher erreicht werden soll. (Okay, das haben wir für 2020 auch schon versprochen – aber diesmal meinen wir es ernst.) Ein zentrales Element ist der CO2-Preis für Verkehr und Wohnen, der von 10 Euro im Jahr 2021 auf 35 Euro im Jahr 2025 steigen soll. Und wir sorgen dafür, dass viel mehr Solar- und Windanlagen gebaut werden.

Gemessen am Koalitionsvertrag, haben Union und SPD einiges erreicht – denn da stand zum Klimaschutz zu wenig drin. Was sie noch lernen müssen: In der Schule wie im wirklichen Leben wird man nicht nur an den eigenen, niedrigen Ansprüchen gemessen, sondern an dem, was die LehrerInnen oder die Gesellschaft erwarten. Und da fällt das Urteil eindeutig aus: Es langt nicht. Der Kohleausstieg kommt zu spät, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. Selbst das deutsche, zu niedrige 2030-Ziel wird mit dem Klimaschutzprogramm voraussichtlich nicht erreicht. (mkr)

Verkehr

Wir machen großartige Fortschritte: So gibt es nicht nur den „Entwurf eines Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes“, mit dem Verkehrsprojekte schneller umgesetzt werden sollen. Es gibt auch deutlich mehr Geld für die Deutsche Bahn und für den ÖPNV und eine Senkung der Mehrwertsteuer im Fernverkehr der Bahn. Im Straßenverkehr geben wir viel Geld aus, um Elektroautos günstiger zu machen und Ladesäulen zu bauen. Und eine Novelle der Straßenverkehrsordnung sorgt für bessere Bedingungen für Radfahrer.

Die Bahn wird durch zusätzliches Geld und Senkung der Mehrwertsteuer tatsächlich attraktiver. Doch wichtiger als das, was Union und SPD im Verkehr getan haben, ist leider, was sie unterlassen haben. So gibt es weiterhin kein Tempolimit, obwohl das ohne Kosten Emissionen und Unfälle reduzieren würde. Um Elektroautos zu fördern, macht die Regierung diese mit viel Steuergeld günstiger, statt eine Quote und ein Enddatum für den Verbrennungsmotor vorzugeben oder solche Fahrzeuge deutlich teurer zu machen. (mkr)

Militär & Entwicklung

Im Vergleich zu 2014 haben wir die Verteidigungsausgaben im Jahr 2019 um beinahe 40 Prozent erhöht. Damit einhergehend ist die Nato-Quote 2019 auf 1,39 Prozent (2014: 1,18 Prozent) gestiegen. Die Mittel für die Bundeswehr werden wir in den kommenden Jahren weiter erhöhen.

Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, erhöhen wir auch die Mittel für humanitäre Hilfe, Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit und streben an, die Vereinbarung der Vereinten Nationen über 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen.

Die Groko hat Wort gehalten: Jahr für Jahr verballert sie mehr Geld fürs Militär. Der Verteidigungsetat 2019 umfasst aberwitzige 43,2 Milliarden Euro. Die bewilligten Mittel für humanitäre Hilfe, Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit bleiben mit 10,2 Milliarden Euro weit dahinter zurück. Dabei hat sich die BRD bereits 1972 dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Da reicht es nicht, stolz zu verkünden, einen Anteil von 0,51 Prozent eingehalten zu haben. (pab)