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Peinliches Gedenken

Das neue Bordell an der Duckwitzstraße steht dort, wo früher sowjetische Zwangsarbeiter im Lager lebten – moralisch „nicht akzeptabel“ findet das der russische Generalkonsul

VonLotta Drügemöller

„Prostitution = Zwangsarbeit“ stand auf einem Schild, das Demonstrant*innen im August gegen die Eröffnung des Bordells an der Duckwitzstraße 69 zeigten. Der Vergleich wurde nicht zufällig gewählt: Tatsächlich stand auf dem Grundstück während des zweiten Weltkriegs ein Lager für sowjetische Zwangsarbeiter. Nun hat auch das russische Konsulat in Hamburg davon gehört – und sich mit einem Schreiben an Bürgermeister Bovenschulte gewandt.

„Wir gehen davon aus, dass die Durchsetzung von solchen Projekten zwar von der deutschen Gesetzgebung nicht verboten, aus moralischer Sicht aber nicht akzeptabel ist, da sie im Widerspruch zu einem angemessen (sic) Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges stehen“, heißt es im Brief von Generalkonsul Andrei Sharashkin, der der taz vorliegt. Der Bürgermeister möge mitteilen, „welche Maßnahmen getroffen werden können, um dieses Problem zu lösen“.

Viele solcher Maßnahmen gibt es wohl nicht. Der russische Diplomat ist nicht der erste, der mit der Situation unglücklich ist: Seit Bekanntwerden der Pläne für das Bordell gibt es dagegen Proteste. Angeführt wurden die Nähe zu einer Grundschule, der Verdacht auf Hells-Angels-Verbindungen – und der Verweis auf das Zwangsarbeiterlager. Im August wurde das „Eros69“ dennoch eröffnet.

Das Gelände liegt im Gewerbegebiet – ein „sonstiges Gewerbe“ wie Prostitution ist damit vom Bebauungsplan gedeckt. „Schön ist das nicht“, so Werner Wick vom Senatspressedienst. „Aber die Regeln sind, wie sie sind.“ Dem Konsulat musste die Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten mitteilen, „bedauerlicherweise“ sei der Widerspruch zwischen Gedenkort und Bordell „keine rechtliche Grundlage zum Versagen der Erlaubnis“.

Dass sich das Konsulat überhaupt einmischt, ist keine Selbstverständlichkeit: Das Schicksal von Zwangsarbeitern sei in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bis heute nicht sehr präsent, erklärt Ulrike Huhn, Geschichtsdozentin an der Uni Bremen. Über Jahrzehnte war es tabu: Sowjetische Soldaten sollten sich nicht gefangen nehmen lassen, sondern bis zum Tod kämpfen – nach dem Krieg hatten viele Berufsverbote zu befürchten. Heute werde der Weltkrieg gerade in Russland als größtem Nachfolgestaat der UDSSR vor allem aus Perspektive des Sieges, weniger aus der der Opfer gesehen. Dass sich das russische Konsulat nun beim Bremer Bürgermeister meldet, findet Huhn „spannend“.

„Schön ist das nicht. Aber die Regeln sind, wie sie sind“

Werner Wick, Senatspressedienst

Die Beiräte in Huchting und Neustadt planen derweil, eine Gedenkstele aufzustellen. Huhn findet das gut – warnt aber auch vor Instrumentalisierung: „Dass ausgerechnet hier der Zwangsarbeiter gedacht werden soll, hat vielleicht auch was mit dem Kampf der Anwohner gegen das Bordell zu tun“, sagt sie. Laut Ingo Mose (Grüne), Beiratssprecher der Neustadt, gab es erste Ideen für einen Gedenkort jedoch schon länger. „Aber vielleicht sind die Stimmen dafür lauter geworden, als auch die Pläne für ein Bordell konkreter wurden“, so Mose.

Das Gedenken verzögert sich indes: Es gibt Streit um den richtigen Ort. Der Neustädter Beirat findet, eine Stele gehöre „selbstverständlich“ in die Neustadt, wo das Lager war. Im Huchtinger Ortsteil Grolland, von wo der Vorstoß ausging, sähe man lieber einen großen Gedenkort mit Sicht auf das Gelände auf Grollander Seite. „Die Stelle am Lager ist unwürdig“, so der Grollander Journalist Gerwin Möller. Nicht nur wegen des Bordells – in der Grünanlage werde wild gepinkelt und gekackt.

Ob Huchting oder Neustadt – in der Senatskanzlei scheint man vor allem erleichtert zu sein, dass es eine Initiative gibt, auf die man gegenüber Sharashkin verweisen konnte. Das Konsulat soll zufrieden sein: „Sie wollten den Kontakt der Organisatoren“, erzählt Wick. „Wer weiß, vielleicht kommen sie ja zur Einweihung vorbei.“

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