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Archiv-Artikel

Serbe in Argentinien verhaftet

Milan Lukić, mutmaßlicher Kriegsverbrecher und früherer Unterstützer des Ex-Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, soll nach Den Haag überstellt werden

SARAJEVO taz ■ Mit dem Serben Milan Lukić ist den Fahndern in Argentinien ein größerer Fisch ins Netz gegangen. Der vom UN-Tribunal in Den Haag gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher war während des Krieges in Bosnien und Herzegowina Chef der paramilitärischen Truppe „Weiße Adler“ in der ostbosnischen Stadt Višegrad und später eine der wichtigsten Personen im Netzwerk des flüchtigen politischen Führers der Serben Bosniens, Radovan Karadžić.

In Buenos Aires gab sich der 37-jährige Lukić als südafrikanischer Geschäftsmann aus und mietete vor einigen Monaten eine Wohnung, in der er auch am Montag festgenommen wurde. Die Wohnung werde weiter von Lukić’ Frau genutzt, hieß es in Argentinien. Lukić soll dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden.

Auch Serbien beantragte die Auslieferung, in Belgrad wurde er in Abwesenheit wegen des 1993 verübten Mordes an 16 muslimischen Männern aus dem Sandžak bereits zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Milan Lukić wurde 1998 vom Tribunal in Den Haag angeklagt. Ihm werden ab 1992 hunderte von Verbrechen zur Last gelegt: Mord, Raub, Folter und Vergewaltigungen. Er stoppte mit seinen Leuten Autobusse und sogar Eisenbahnzüge, untersuchte die Reisenden nach ihrer religiösen Herkunft. Wer Muslim oder Katholik war, wurde weggeführt und erschossen. In der Stadt unterhielt er ein Vergewaltigungslager, raubte das Eigentum von Bosniaken, zündete viele Häuser an und bereicherte sich.

Nach dem Krieg kontrollierte er unter den Augen der französischen SFOR-Truppen die Geschäftswelt von Višegrad, besaß die Hälfte aller Cafés, kontrollierte den Schwarz- und Drogenhandel und pendelte zwischen Višegrad und der serbischen Stadt Obrenovac. Višegrad ist mit der von Ivo Andrić beschriebenen „Brücke über die Drina“ mit Serbien verbunden. Lukić galt schon damals als ein wichtiges Teil des Netzwerkes, der „Preventiva“, das der flüchtige Karadžić um sich aufgebaut hatte.

Doch seit dem letzten Jahr kam es nach Angaben aus bosnischen Geheimdienstkreisen zu Spannungen mit Karadžić. Im Januar lieferte sich Lukić eine Schießerei mit Karadžić’ Leibwächtern. Es ging dabei wahrscheinlich um Anteile aus dem Drogengeschäft. Karadžić soll nach Informationen aus Banja Luka mehrere seiner Unterstützer verdächtigen, die Gewinne nicht korrekt abzurechnen. Lukić suchte daraufhin Kontakt zu den Fahndern des Den Haager Tribunals. Er kündigte an, er wolle Informationen über Karadžić liefern. Doch ein Treffen in Montenegro scheiterte. Unter welchen Umständen die Polizei Wind von der Angelegenheit bekam, ist nicht geklärt. Die Den Haager Fahnder leugnen, die serbischen Behörden informiert zu haben.

Am 18. März stürmten serbische Polizisten Lukić’ Haus und erschossen „irrtümlich“ den Bruder des Gesuchten. Und bewiesen damit, dass Karadžić-Anhänger die Polizei der Republika Srpska beherrschen. Der Polizeichef wurde abgesetzt, der neue hat jedoch keinen besseren Ruf. Lukić verschwand, ohne die Fahnder des Tribunals zu treffen. Er wird bald Zeit und Muße haben, in Den Haag über das Netzwerk Karadžić’ Auskunft zu geben. ERICH RATHFELDER