piwik no script img

Literatur kann die Realität transformieren

Splitter von der Buchmesse: Brasilianische Stimmen gegen Bolsonaro, besonders prominent vom Fotografen Sebastião Salgado, der am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält

Von Tania Martini

Klima und Demokratie – das sind unbestreitbar die großen Themen dieser Messe. Deshalb sagt auch Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Deutschen Börsenvereins und Mitglied des Friedenspreisstiftungsrates, er könne sich keinen besseren Preisträger als Sebastião Salgado für den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vorstellen. Am Sonntag wird Salgado in der Paulskirche mit dem renommierten Preis geehrt. Die Laudatio wird Wim Wenders halten, der mit „Das Salz der Erde“ (2014) einen Dokumentarfilm über Leben und Werk Salgados gedreht hat.

Salgado, einer der wichtigsten Fotografen der Gegenwart, kommt aus Brasilien, dessen ökologische und politische Katastrophen in diesem Jahr die ganze Welt beschäftigt haben.

Der dokumentarische Fotojournalismus Salgados wurde immer wieder kritisiert. Nicht nur aufgrund seiner Überwältigungs­ästhe­tik. Auch weil er Elend und Armut in beinahe unerträglicher Direktheit dokumentiert hat, was die Frage nach dem Verhältnis von Ästhetik und Ethik aufruft. Das Sterben in den brasilianischen Goldminen, die Opfer von Bürgerkriegen und Hunger, kein Abgrund, in den er nicht seine Kamera gehalten hat. Seit etwa 30 Jahren fotografiert er nur noch in Schwarz-Weiß, auf der Pressekonferenz in Frankfurt sagte er am Freitag, das diene der Konzentration auf das Wesentliche, gerade die Monochromie solle Würde zum Ausdruck bringen.

Das Monochrome unterstreicht auch die Grenzerfahrung des Künstlers, die klar spürbar ist bei Salgado. Er ist ein Involvierter und Engagierter, seine Arbeit an den Grenzen des Erträglichen habe ihn krank gemacht, sagt der ehemalige Marxist. Er wollte aufhören mit der Fotografie, schöpfte aber neue Hoffnung, indem er in die Natur ging – sowohl mit der Kamera als auch als Aktivist. Mit seiner Frau initiierte er die Pflanzung von zweieinhalb Millionen Regenwaldbäumen und setzt sich ein für die Awá-In­dia­ner, die von der Abholzung des Regenwalds unmittelbar bedroht sind.

Die Abholzung des Regenwaldes, sagt Salgado eindringlich, sei nicht die einzige Katastrophe: Die extreme Rechte unter Bolsonaro zerstöre das über Jahrzehnte aufgebaute institutionelle Gefüge, nehme den Indigenen das rechtlich garantierte Land weg und zerstöre nachhaltig die Gesellschaft.

Ein politischer Gefangener

Der Schriftsteller Luiz Ruffato kommt auch aus Brasilien, dort ist er ein Starautor. Er ist mit dem „Buch der Unmöglichkeiten“ (Assoziation A) auf der Buchmesse. Auf einem Panel, das die Erfahrungen von Schriftstellern aus den Diktaturen in Nicaragua, Chile, Argentinien und Brasilien zusammenbrachte, hält er ein Transparent hoch mit der Aufschrift „Free Lula Livre“. „Wir haben einen politischen Gefangenen!“, ruft Ruffato. Luiz Inácio Lula da Silva, ehemaliger Präsident Brasiliens und Gründungsmitglied der Arbeiterpartei, sitzt seit April 2018 wegen Korruption im Gefängnis und gilt seinen Anhängern als erster politischer Gefangener nach der Militärdiktatur. Ruffato sieht es als seine Pflicht, seine Stimme gegen Bolsonaro zu Gehör zu bringen: „Literatur kann die Realität transformieren.“

Die chilenische Kinderbuchautorin und Journalistin María José Ferrada ist in der Zeit der Pinochet-Diktatur aufgewachsen. Für sie ist es gerade die Stille, die Diktaturen kennzeichnet, das Nichtsprechen, das Ausweichen, der Kommunikationsabbruch. Sie werde oft gefragt, warum die chilenische Literatur so minimalistisch sei: „Weil wir Experten der Stille sind.“ Brasilien, Hongkong, Polen, die Türkei, Syrien – auf dieser Buchmesse ist so viel Wissen, Engagement, Solidarität vorhanden und doch so viel Ratlosigkeit. Wie auch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen