: Unter Monstern
In der Galerie K’zeigt Verena Issel ein herrlich irritierendes Arrangement aus bunten Monstern und noch bunterem Kunststoff
Von Jan-Paul Koopmann
Die „Autoscooter“ aus dem Titel tauchen schon mal nicht auf, jedenfalls nicht ausdrücklich. Ihre Bewegungsgesetze hingegen schon. Man erinnere sich an diese Rummelmaschinen aus der Kindheit oder vom Suff: erst ein chaotisch intendierter Aufprall, nach dem ganz kurz so eine billardeske Banalphysik einsetzt, gegen die wiederum am TÜV vorbeigeschleuste Brachialmechanik anstottert. Das Ergebnis: Man landet nach dem Crash zwar sonstwo, könnte aber theoretisch präzise berechnen, wo man eigentlich hätte zum Stehen kommen sollen.
Ob man nun anerkennt, dass Gesellschaft so funktioniert, ist ganz egal (es spricht natürlich viel dafür.) In jedem Fall aber lässt sich auf diese Weise durch Verena Issels Ausstellung in der Galerie K’gehen, wo eben Stoßdämpfer und anderes Gummizeug allerlei gezeichnete Tierchen eindämmen und schützen: vielleicht vor uns, die wir dann wieder abprallen. Vielleicht auch nicht.
Das soll nicht heißen, dass die Ausstellung beliebig wäre. Ganz im Gegenteil bringt Verena Issel Installation, Skulptur und Zeichnung gerade über diese Offenheit in ein bemerkenswertes Spannungsverhältnis.
Verena Issel ist Altphilologin, hat Latein und Altgriechisch studiert – später dann Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, wo sie gerade eine Gastprofessur innehat. Meistens ist sie allerdings irgendwo unterwegs. Sie war Artist in Residence in Wladiwostok, Teheran, Shanghai und wo nicht noch überall. Die „Autoscooter“ hat sie etwa aus dem japanischen Kobe mitgebracht, wo Issel in diesem Jahr residierte. Und das ist dann auch bei aller Abstraktion schon ziemlich wichtig, weil es diese Materialien hier gar nicht gibt: Stoßdämpfermatten und „Bouncer“ in verschiedenen Formen und Farben. In Japan finden sie als Stoß- und Eckenschutz in öffentlichen Gebäuden Verwendung. Japan scheint ein Land der gefährlichen Wände zu sein.
Für „Autoscooter“ folgt daraus zweierlei: einmal, dass dieses Arrangement trotz aller futuristischer Künstlichkeit erstaunlich stimmig wirkt. Und dann ist da diese Verschiebung auf die Geschichtlichkeit der Materialien, die Verena Issel bereits in älteren Arbeiten vollzogen hat. Weil von irgendwo nämlich ein Sinnzusammenhang durchscheint, auch wenn er nicht immer und schon gar nicht sofort ersichtlich ist.
Zu erleben war das etwa 2016, als Verena Issel die Arbeit „Aset in Tadmor“ beim Westfälischen Kunstverein in Münster gezeigt hat. Im Schaufenster des LWL-Museums für Kunst und Kultur standen angedeutete Stelen und Torbögen Palmyras, dessen antike Tempelanlage gerade vom sogenannten Islamischen Staat verwüstet wurde. Das war ein doppelter Kommentar: auf die Weltlage und die „Kulissenstadt“ Münster zugleich. Gebaut hatte Verena Issel ihr Palmyra aus Verpackungsmaterial von syrischen Geschäften in Münster.
Ausdrücklich politisch war auch Verena Issels Arbeit „WeChat“ im vergangenen Jahr, die sich mit der Totalüberwachung in China und der Einführung des Social-Credit-Systems befasst.
In „Autoscooter“ gibt es keine explizite Politik, aber doch ganz ähnliche Bewegungen. Im ganz Kleinen sieht man das an ein paar Schaumstoffschläuchen, die da an die Galeriewand geklebt sind. Klingt banal, sieht aber nicht so aus, weil die baumelnden Würste sofort an die unfertige Kabelage auf einer Baustelle erinnern – also erfolgreich Funktionalität vorgaukeln, wo es keine geben kann.
Lustig ist natürlich, wie die eigentlichen Hauptfiguren, die knallbunten Monsterchen, völlig in den Hintergrund rücken. Sie scheinen die Galerie eher zu bewohnen, als hier vorgeführt zu werden: diese flächigen Gestalten aus Wachs und Ölkreide. Ihre Formen zitieren zwar Bildsprachen der Moderne, haben aber keine globale Welterklärungen im Angebot. Es bleibt sogar unklar, was sie eigentlich darstellen: Aliens, Schnecken, belebte Toaster, Musikinstrumente oder Bazillen. Vielleicht sind auch das die Autoscooter. Man fühlt sich jedenfalls aufs Angenehmste fremd in dieser Ausstellung, ohne jede Feindseligkeit aufgehoben zwischen diesen Ungeheuern und ihren Stoßdämpfen. Man könnte sich auch draußen daran gewöhnen.
Ausstellung bis 3. 11., Galerie K’
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