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„Divorce! Divorce!“, alle singen mit

Sein Projekt ist die ironische Dekonstruktion dieser toxischen Männlichkeit: Der Australier Alex Cameron gab ein Konzert im Festsaal Kreuzberg

„Far from born again, she’s doing porn again.“ Das ist nicht zu übertreffen

Von Jan Jekal

Wie ein Preisboxer vor dem sicheren Sieg betritt Alex Cameron am Mittwochabend die Bühne des Festsaals. Er mustert das Publikum herausfordernd, fast grimmig, atmet den ­Applaus ein. Die schwarz gefärbten Haare trägt er nach hinten geworfen, einzelne Strähnen fallen ins gepuderte Gesicht. Die Augen mit Kajal betont, auf den schmalen Lippen Lippenstift: Cameron channelt die an­drogynen Rockstars der siebziger Jahre, erinnert an den Bowie der „Young Americans“-Ära. Über einem T-Shirt mit Tiefseetauchermotiv trägt er einen himmelblauen Anzug.

Im Publikum sind deutlich mehr Frauen als Männer – das ist schon interessant, weil die Kunstfiguren, die der 29-jährige Australier über drei Alben entworfen hat, ziemlich schmierige Zeitgenossen sind. Vor einigen Jahren trat Cameron noch mit aufgemalten Falten auf, gab den abgewrackten Entertainer. Auf seinem Album „Forced Witness“ von 2017 versammelte er ein ganzes Ensemble trauriger Männergestalten; er schrieb aus der Perspektive der Creeps und übertrieb es so, dass sein Projekt der ironischen Dekonstruktion dieser toxischen Männlichkeit außer Frage stand. Offenkundig ging das Konzept auf, sonst würden nun nicht so viele Frauen ausgelassen zu seinem Faux-Chauvinismus tanzen.

Über geschmeidigen Synth-Pop singt Cameron mit spring­steenhafter Ernsthaftigkeit Zeilen wie „I got shat on by an eagle, baby“. Er ist der zurzeit zitierbarste Popmusiker. Die Hook eines neuen Songs geht so: „Far from born again, she’s doing porn again.“ Das kann man nicht übertreffen.

Er wird von einer kompetenten, fünfköpfigen Band begleitet, deren Starmitglied der Saxofonist Roy Molloy ist, den Cameron mehrmals als seinen „guten Freund und Geschäftspartner“ bezeichnet. Molloy ist ein adretter, zurückhaltender Mann mit gepflegtem Bart, der von dem gar nicht zurückhaltenden Cameron so gehypet wird, dass seine Saxofonsoli vom Szenenapplaus überdeckt werden. Für einen absurden Sketch überlässt Cameron seinem Geschäftspartner die Bühne: Malloys liebstes Hobby sei es, Dinge zu bewerten. Nur wurde neulich sein Google-Account gesperrt, wo er Dinge wie das Schwarze Meer bewertet hatte (5 von 5 Sternen). Als Ersatz beschreibt der Saxofonist nun im Detail die Beschaffenheit seines Stuhls auf der Bühne und verleiht ihm nach reichlichem Überlegen 4,5 von 5 Sternen. (Ein lustiges Zwischenspiel, das nur von den ständigen Einwürfen einer volltrunkenen Zuschauerin ein wenig ruiniert wird.)

Cameron singt stark, kann sich trotz des vollen Sounds behaupten. Seine Masche funk­tio­niert ja ohnehin nur, weil die Songs tatsächlich gut sind und er tatsächlich singen kann. Ein Höhepunkt ist das neue Lied „Divorce“, ein treibendes Stück Heartland-Rock, in dem Cameron aus der Sicht eines verlassenen Ehemanns schmollt; das so mitreißend geschrieben ist, dass die Hände des Publikums im Refrain hochgehen und alle „­Divorce! Divorce!“ mitsingen.

Eröffnet wurde der Abend übrigens von dem Australier Jack Ladder, der ein paar Jahre älter als Cameron ist und schon ein paar Jahre länger die Rolle des abseitigen Unterhalters spielt. In angenehmem Bariton sang er über Euthanasie und Kidnapping. Er stand alleine auf der Bühne, begleitete sich auf der E-Gitarre und hatte Eurodisco-Backingtracks vorbereitet. Er sang auch eine Coverversion des Iggy-Pop-Stücks „­Shades“, eines in seiner Version unerwartet ­ergreifenden Songs über Sonnenbrillen. Seine raue Stimme machte offenkundig Eindruck. Als eine Frau ihm zurief, dass sie sich gerade in ihn verliebt habe, raunte er in ihre Richtung: „Nimm dich vor dem Sänger bloß in Acht.“

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