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Archiv-Artikel

Wurde Arafat vergiftet?

FRANKREICH Neue Spekulationen über Polonium-Verstrahlung des 2004 verstorbenen Palästinenserführers. Mediziner sind skeptisch. Justiz ordnet Autopsie des Leichnams an

Für eine Nachweisbarkeit heute müsste die damals verabreichte Dosis 500.000-mal höher gewesen sein

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Acht Jahre nach seinem Tod soll der Leichnam von Palästinenserführer Jassir Arafat auf Spuren einer möglichen Vergiftung untersucht werden. Die Staatsanwaltschaft von Nanterre bei Paris hat am Dienstagabend Ermittlungen gegen unbekannt wegen Mordverdachts eingeleitet. Arafats Witwe Suha lebt in Frankreich. Sie hat die Mordklage in Nanterre registriert. Der Verdacht wurde für ausreichend begründet erachtet.

Den französischen Zeitungen war die Eilmeldung kaum eine Schlagzeile wert. Suha Arafat und ihr Anwalt Pierre Olivier Sur sowie die Palästinensische Autonomiebehörde hingegen begrüßten den Entscheid der französischen Justiz. Arafat war am 11. November 2004 im Pariser Militärkrankenhaus Percy unter nie eindeutig geklärten Umständen gestorben. Inzwischen erhielten Spekulationen, nach denen er ermordet worden sein soll, neue Nahrung: Vor wenigen Wochen hat ein schweizerisches Labor Spuren von hochradioaktivem Polonium auf Gegenständen Arafats nachgewiesen, wie der TV-Sender al-Dschasira meldete.

Polonium war im Jahr 2006 als perfide Mordwaffe bekannt geworden, nachdem der russische Oppositionelle Alexander Litwinenko in London damit vergiftet wurde. Ob ein Zusammenhang mit der Todesursache des Palästinenserführers besteht, dem es an Feinden nicht mangelte, soll eine Autopsie seine sterbliche Überreste, die in Ramallah liegen, klären. Arafats Witwe und die Tochter haben eingewilligt.

Gleichzeitig werden in Frankreich starke Zweifel an der Polonium-Version laut. Diese stützen sich auf die von der Arafat-Stiftung im Internet publizierte Krankengeschichte. Beim Eintritt von Arafat in das französische Krankenhaus seien unter anderen Analysen auch Spuren von radioaktiver Strahlung im Urin gesucht worden, meint dazu das Online-Magazin Slate. Diese hätten entdeckt werden müssen, wenn das Gift in messbarer Dosis in seinem Körper vorhanden gewesen wäre.

Keinen kausalen Zusammenhang mit den von den Ärzten bei Arafat festgestellten Symptomen sieht Professor Roland Masse, ein Spezialist für medizinische Radioaktivität: „Die Vergiftung mit Polonium verursacht eine allgemeine Verstrahlung mit genau bekannten Folgen, namentlich einer Geschwürbildung der Darmschleimhaut mit Wasserverlust und blutigem Durchfall.“ Auch sei bei Arafat keine Anämie und Verknappung der weißen Blutkörper diagnostiziert worden, wie sie bei Polonium-Verstrahlung auftrete.

„Wenn die auf den persönlichen Gegenständen entdeckten schwachen Polonium-Spuren von einer Kontaminierung vor fast zehn Jahren herrühren, dann müsste die damals verabreichte Dosis um rund 500.000-mal höher gewesen sein, damit sie heute noch nachweisbar ist. Eine so hohe Dosis aber provoziert Anomalien, von denen im ärztlichen Dossier nichts erwähnt ist“, erklärt auch der Strahlenmediziner André Aurengo der Zeitung Le Figaro.

Offen bleibt, ob dieses Dossier vollständig ist. Und Polonium, so meint ein anderer Arzt laut Slate, sei ja nicht die einzig mögliche Spur bei den jetzt beginnenden Mordermittlungen im Fall Arafat. Der Pariser Professor Marcel Francis-Kahn hält demnach aufgrund der im Patientendossier beschriebenen Symptome eine eventuelle Vergiftung mit bestimmten Pilzen schon eher für glaubhaft.