Eine Frau für alle Fälle

Wäre es nicht gut, für jede Lebenssituation eine je eigene Partnerin zu haben? Diese Idee spielt Catherine Lacey in „Das Girlfriend-Experiment“ durch. So entlarvt sie die Aporien des heutigen Liebesmarktes

Von Marlen Hobrack

Was gibt es nicht für Anforderungen an die eine, die perfekte Partnerin! Allein die Vorstellung, dass ein Mensch uns all das geben könnte – emotionale und sexuelle Befriedigung, ewige Leidenschaft und harmonische Stabilität – funktioniert allenfalls im Hollywood-Film. Wäre es da nicht klug, die Anforderungen auf diverse, ideal für den „Job“ geeignete Personen zu übertragen?

Dieses Gedankenexperiment spielt Catherine Lacey in ihrem Roman „Das Girlfriend-Experiment“ durch: Kurt Sky, ein berühmter Schauspieler, startet das Experiment mithilfe einer Forschungsabteilung. Die richtet in seinem Loft ein Versuchslabor ein, für das eine Reihe von Frauen in die Rollen des Girlfriends schlüpft: Es gibt die intellektuelle, die mütterliche und die emotionale Freundin.

Letztere Rolle fällt Mary Parson zu. In einer ultrachristlichen Familie isoliert erzogen, hat sie keinen Schimmer, wer dieser Kurt Sky ist. Mary selbst ist hochverschuldet und leidet an unerklärlichen Krankheits­symptomen. Ihre letzte Rettung ist eine Art New-Age-Therapie. Das nötige Geld liefert ihr das Girlfriend-Experiment.

Catherine Lacey spielt in diesem Roman äußerst klug mit den Aporien des zeitgenössischen Liebesmarktes: Basierend auf dem Ideal der romantischen Liebe verausgaben sich Frauen in emotionaler Arbeit. Sie bleibt unentlohnt, wie Hausarbeit. Im Gegensatz zu Letzterer kann man die emotionale Arbeit aber gemeinhin nicht outsourcen.

Hier im Roman aber schon: Nicht nur Sex und häusliche Pflichten werden an Dienstleisterinnen delegiert: Auch die emotionale Arbeit wird auf verschiedene Schultern verteilt. Wenn eine Frau zu schwierig wird, kann man die Rolle neubesetzen.

Für Kurt, der in Liebesbeziehungen stets scheitert, besteht der Gewinn nicht nur in der optimalen Bedürfnisbefriedigung. Das emotionale Chaos, das gute wie schlechte Beziehungen erzeugen, hat womöglich seine Produktivität beeinflusst: Ein großes Filmprojekt wird und wird nicht fertig.

Seine Forschungsabteilung glaubt die Lösung des Problems zu kennen: innere Direktiven. Was, wenn man Gefühle und Bedürfnisse präzise steuern könnte? Das Forscherteam beschränkt sich nicht darauf, Kurts Körperzustände zu überwachen und emotional zu kartografieren. Es verabreicht ihm die Direktiven wie Medizin. So löst sich plötzlich die Grenze zwischen innen und außen auf. Was empfindet Kurt wirklich, was wird ihm eingegeben?

Tatsächlich könnte man die Versuchsanordnung als eine Art Science-Fiction betrachten. Bloß ohne Cyborgs und KI. Stattdessen: Wissenschaftsfiktion, die ultranah die Ebene unser ureigenen Gefühle betrachtet. Multiperspektivisch erzählend offenbart der Roman, dass alle Beteiligten am Experiment Laborratten sind, auch Kurt, sein Initiator. Was in einem leichten Ton daherkommt, zeigt in Wahrheit den verzweifelten Versuch, das Dilemma des Liebens radikal zu lösen. Wenn Bedürfnisse nicht zu erfüllen sind, auch nicht von Idealpartnern, so sorge dafür, dass sie gar nicht erst auftreten.

Catherine Lacey, 1985 geboren, gehört zu jener ominösen Generation Y, für die auch die emotionale Beziehungsarbeit zur unlösbaren Herausforderung zu werden scheint. Die Lösung ihres Romans ist eher dystopisch. Eine Art Frankensteins Monster für Romantiker.

Catherine Lacey:„Das Girlfriend-Experiment“. Aus dem amerik. Engl. von Bettina Abarbanell. Aufbau Verlag, Berlin 2019, 320 S., 22 Euro