Die Wahrheit: Mystischer Stockfisch

Die Norwegen-Woche der Wahrheit: Das Reiseland Norwegen entpuppt sich als arg schmale und wässrige Gaukelei.

Wir Deutschen denken immer, Norwegen und Skandinavien wären wer weiß wie toll, wer weiß wie naturhaltig und wer weiß wie voller Krimis. Ich laufe ja auch jeden Tag im Dirndl mit der Biermaß durch die romantischen Fachwerkgassen von Hannover. Da wird es gut sein, wenn wir uns in Frankfurt am Main mal näher kennenlernen, ich und der Norweger, dessen merkwürdige, langgestreckte und tiefzerklüftete Heimat als Gastland dieses Jahr zur Buchmesse anreisen darf, vermutlich komplett.

Als Kind reiste ich einmal durch Norwegen, samt Eltern und Geschwistern. Alles war sehr teuer, vor allem das Bier, das Essen und die Übernachtungen, also eben alles, sodass wir auf einfache Unterkünfte auswichen. Man buchte ein Familienzimmer, und die besorgte Herbergsmutti fragte meine Mutter: „Hast du Kleider für die Betten?“ Hatte sie, wer weiß, wo wir sonst gelandet wären – in der ochsenblutgefärbten Scheune eines Bauern im ochsenblutdurchtränkten Stroh, möglicherweise.

An sehr schmale Straßen kann ich mich erinnern, die noch dazu alle zehn Kilometer an irgendeinem Wasser endeten, wo man auf eine Fähre warten musste, die einen zur nächsten schmalen Straße bringen sollte. Eine unsinnige Art zu reisen.

Zehn Jahre später versuchte ich es mit einem Segelschiff, weil man damit bei dem vielen Wasser fein raus war. Leider kam man aber sonst nicht weit. Hinter der Hafenpromenade abgelegener norwegischer Orte war meistens Schluss mit der Landbesichtigung. Der romantische Versuch, an einer einsamen Schäre anzulegen, endete damit, dass einer von uns ins Meer fiel, vermutlich ich. Ich habe es vergessen, nee, verdrängt, nee, war was?

Außerdem ist es ein bisschen gruselig, mit einer kleinen Yacht in einem Fjord zu kreuzen, der immer enger wird, während die Felsen am Rand immer höher wachsen, und informierte Mitreisende wissen, dass es unter Wasser noch einmal genauso tief nach unten geht. Gerade habe ich im Radio gehört, dass es Anhänger von „Mystischen Reisen“ gibt. Die hätten sich dort bestimmt sehr wohl gefühlt, an jenem einsamen Anleger vor der Felswand am Wasserfall, der da aus keinem anderen Grunde lauerte, als Touristen vorzugaukeln, dass Norwegen ganz aus harmloser Natur besteht, während es doch in Wahrheit aus übereinandergestapelten Krimis erbaut wurde.

Obwohl kein Ort zu sehen war, landete in unserer Nähe ein Wasserflugzeug, das hinter einer Felsecke verschwand, woraufhin wir uns bis zum nächsten Morgen gruselten – so lange mussten wir bleiben, weil man im Dunkeln unmöglich zurücksegeln konnte. Im berüchtigten Skagerrak belästigte uns dann noch eine heimtückische Flaute mit mystisch-schlappen Segeln und dröhnender Langeweile.

Wenn mich jetzt die Sehnsucht nach Norwegen packt, hilft mir ein chronisch nordlandreisender Freund mit Stockfisch aus. Da geht das weg von, wie die Norddeutsche sagt.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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