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Grotesker Streit in Goslar

Der Domplatz östlich der Kaiserpfalz in Goslar soll neu gestaltet werden. Bis 2022 sollen dort unter anderem ein Hotel und eine Halle entstehen. Dagegen regt sich Widerstand

Von Bettina Maria Brosowsky

ISEK: Hinter diesem Kürzel verbirgt sich ein prozessuales Instrument der Stadtentwicklung, das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“. Dieses in der Regel mehrjährige Unterfangen mit intensiver Bürgerbeteiligung wird mittlerweile Städten und Gemeinden abverlangt. Denn ein derartiges, zudem perspektivisch fortzuschreibendes Entwicklungskonzept „ist gemäß der Verwaltungsvereinbarung (VV) zur Städtebauförderung Fördergrundlage für alle Programme der Städtebauförderung“, wie es das Beamtendeutsch aus dem Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat ausdrückt.

Es geht also schlicht ums Geld, auch aus EU-Fonds. Zudem um die aktive Gewinnung und frühzeitige Einbindung privatwirtschaftlicher Investoren zum Wohle der Kommunen, verfügen diese doch nur (noch) über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen.

Die Stadt Goslar, durch Kaiserpfalz, Altstadt und das Erzbergwerk Rammelsberg mit reichlich Unesco-Weltkulturerbe gesegnet, durchläuft seit fünf Jahren dieses Verfahren und hat das zu leistende Programm pflichtschuldig abgearbeitet: Es wurden raumordnerische und demografische Aspekte ventiliert, städtebauliche Leitbilder formuliert, jede Menge Beteiligungsrunden durchgeführt, Gutachten sowie Vereinbarungen verabschiedet und manches mehr.

Immer mit dabei: Vertreter*innen von Denkmalpflege und Icomos, dem International Council on Monuments and Sites, Berater-Organisation der Unesco, die bei allen Belangen baulichen Welterbes Aufgaben gemäß der Welterbekonvention von 1972 wahrnimmt.

Im Laufe des Verfahrens wurde ein augenfälliges städtebauliches Problemfeld diagnostiziert, das nun angegangen werden soll: der große, als Parkplatz genutzte Bereich östlich der Kaiserpfalz – Domplatz geheißen, da historisch Standort des Reichsstifts St. Simon und Judas – sowie das südlich anschließende Areal mit aufgegebenen Kasernen und Fahrzeughallen des Bundesgrenzschutzes.

Wer jemals in Goslar war, kennt dieses schnöde Niemandsland am Eingang zur Innenstadt, zugeparkt mit Autos und Touristenbussen. Und fragt sich nur, weshalb diese Fehlstelle nicht schon früher in den Blickpunkt funktionaler und gestalterischer Aufwertungsbemühungen geraten ist.

Nun soll aber alles recht flott gehen. 2018 wurde ein Bauprogramm für das Kasernengelände beschlossen, bis 2022 soll es realisiert werden: ein Vier-Sterne-Hotel mit 120 Zimmern und Tagungsräumen, nachgefragt etwa vom Deutschen Verkehrsgerichtstag, der traditionell in der letzten Januarwoche seine Jahreskonferenz in Goslar abhält.

In einer Tiefgarage sollen alle Autos, auch jene vom Domplatz, verschwinden können, denn er wird begrünte Freifläche. Auch eine Veranstaltungshalle für etwa 500 Personen, als Ersatz für das 2012 aufgegebene Odeon-Kino-Theater, soll auf dem Kasernengelände Platz finden. Ein lokaler Investor, bislang allerdings nur für architektonisch minderwertige „Fachmarkt-Immobilien“ qualifiziert, steht für alle Hochbaumaßnahmen parat, ein geladener Wettbewerb wurde unter sechs Architekturbüros ausgelobt.

Die Architekten wiederum hatten Erfahrung in historisch anspruchsvollem Baubestand oder Unesco-Welterbestätten nachzuweisen. Nach der anschließenden Überarbeitung zweier Erstplatzierter aus einem ersten Wettbewerbsdurchlauf steht seit September nun der ultimative Gewinnerentwurf fest: Er kommt aus dem international tätigen Büro ­Nieto Sobejano, Madrid und Berlin. Die Architekten zeichnen neben anderem für den Museumsausbau eines Ruinenflügels der Moritzburg in Halle verantwortlich und das Joanneumsviertel im Unesco-Welterbe der Grazer Altstadt.

Der disziplinierte Entwurf der Spanier geht geschickt mit der Baumasse um, teilt sie in drei niedrige Volumen auf einem gemeinsamen Sockel, in den drei Höfe eingeschnitten sind. Flachdächer sollen begrünt werden, für das Äußere schwebt den Architekten eine unregelmäßige Durchfensterung und ein noch weiter zu erarbeitender Kanon aus ortstypisch bürgerlichen, eher „armen“ Materialien wie Schiefer oder Holz vor – die bewusste Distanz somit zum historischen Nachbarn.

In diesem Sinne lässt sich auch die Denkmalpflege-Charta von Venedig aus dem Jahr 1964 auslegen: Neues muss vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit der Wert eines Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht wird. Und sei das Baudenkmal, wie in diesem Fall, auch nur ein fragwürdiges Repräsentationsgebaren, die im nationalen Überschwang des ausgehenden 19. Jahrhunderts monumentalisierende Überbauung ruinöser Relikte einer mittelalterlichen Kaiserpfalz.

Zu dieser Erkenntnis sind aber nicht alle vor Ort fähig oder bereit, sodass sich Widerstand regt. Ein Petent aus Düren/Düsseldorf/Goslar lancierte ein Online-Verlangen nach einem weiteren Architektur-Wettbewerb mit der Zielvorgabe von „historisierenden Gebäuden“. Die Resonanz fällt mit gut 600 Unterzeichnern seit Juli eher verhalten aus.

Stadtbild Deutschland e. V., nach Eigenangabe „der bundesweit einzige Verein, der sich für Denkmalschutz, traditionelle Architektur und Rekonstruktionen“ einsetzt, sekundierte mit konkreten Gestaltungsvorschlägen in Wort und Bild: Dem Hotel müsse ein traditionelles Satteldach aufgesetzt werden, die zusätzliche Nutzfläche eines Dachgeschoss wäre ein „interessantes Szenario auch für den Investor“. Fassaden sollten über horizontale Gesimse und vertikale Risalite gegliedert werden, stehende Fensterformate könnten gern eine „historisierende Laibung aus Sand- oder Naturstein erhalten“.

Sein Plädoyer für eine historisierende Überarbeitung des Siegerentwurfes ließ der Verein vom Potsdamer Architekten Pake Jeyabalan in einer Skizze festhalten: Zum Glück so unfreiwillig grotesk, dass sich eigentlich die Diskussion verbietet. Trotzdem können zukünftige Störfeuer nicht ausgeschlossen werden.

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