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Achtung, da steht eine Säule!

Das Drumherum zelebrieren: Hermann Heisig mit „Singing Machine“ in den Sophiensälen

Von Katrin Bettina Müller

Ohren, sehr große Bilder von Ohren liegen auf dem Boden und hängen an der Wand in der Kantine der Sophiensäle. Ohren, Nasen, Münder, Augen sind in die klingenden Bleche geritzt, die im Raum hängen. Ohren, Nasen und Augen schmücken den Overall, in dem sich Hermann Heisig durch diesen Raum bewegt. Eine Lektion für die Sinne also, denkt man, könnte diese Performance von Hermann Heisig werden, die „Singing Machine“ betitelt ist.

Seit gut 15 Jahren ist Hermann Heisig, der aus der berühmten Malerfamilie in Leipzig stammt, als Performer, Tänzer und Choreograf unterwegs. Er ist so etwas wie der Buster Keaton unter den Choreografen – ihn interessieren Vorhaben, „die umständlich sind und sich gegen einen flüssigen Ablauf sperren“. Mit seinem schlanken, über 1,90 großen Körper bewegt er sich wie einer, der aufpassen muss, nicht anzustoßen. Und man denkt dann schon, die bronzenen Teller der Becken, die in einer Bühnenecke auf ihren Einsatz warten, werden schon noch zur Stolperfalle.

Schön singen kann er vermutlich nicht, dennoch setzt er in „Singing Machine“ auch auf seine Stimme, ackert an seinen Tönen. Räuspern, Knarzen, gerollte Rrrs, Schnaufen und Luft schnappen, versuchte Triller, eine Schrumpftonleiter, das prallt gegen Zuschauer und Wände. Alles wird bei ihm zu Schwerstarbeit, er kriecht einzelne Laute vorstoßend unter den Sitzbänken durch, später steigert er sich in einen Samba-Rhythmus, dem auch Arme und Beine folgen – Vorsicht, da steht eine Säule! – geschafft, umtänzelt. Er taucht unter dem Tresen ab, man hört ihn nur, man sieht ihn nicht. Er läuft durch verschiedene Türen und lässt es draußen scheppern. Er findet eine metallene Scheibe, die er über Boden und Wände rollt und damit der Architektur ein Klangprofil gibt. Man wartet und freut sich auf den Zusammenstoß der Scheibe mit einer Ecke.

Nun sind solche akustischen Raumerkundungen nicht neu in der Musik- und Performance-Szene. Nur folgt man ihnen selten so still in sich hineinschmunzelnd, obwohl eigentlich nicht viel passiert. Irgendwann hat Heisig einen gefälteten Kragen wie ein Harlekin umgelegt, der Musiker Tian Rotteveel verändert an seinen elektronischen Instrumenten die Klangfarben, so allmählich wandert die Stimmung Richtung Alte Musik. Als ob Heisig sich jetzt durch eine Landschaft von Henry Purcell bewegen würde, von dessen Noten aber nur noch jeder fünfte Ton durch die Zeit gedrungen ist.

Es ist erstaunlich, was ein Mensch so alles kann, wie suggestiv die kleinen Gesten und Ausrutscher sind, wie Erwartungen sich verselbständigen und man am Ende zufrieden ist mit der Performance. Aber was hat man eigentlich gesehen? Viel, nur nichts Eigentliches. Es ist das Zelebrieren des Drumherums, das Heisig so gut beherrscht, dabei gelegentlich auch für einen winzigen Moment den Zuschauern zuzwinkernd.

„Singing Machine“, wieder am 5. 10., 21 Uhr, in den Sophiensälen

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