piwik no script img

Immer eine Line auf Lager

Selim Özdoğans neuer Roman „Der die Träume hört“ ist Vater-Sohn-Geschichte, HipHop-Roman und Aufstiegsstory zugleich

Vielleicht sieht’s im fiktiven Stadtteil Westmarkt so aus wie hier in Duisburg Foto: Oliver Tjaden/laif

Von Julia Wasenmüller

Ein Typ sitzt breitbeinig auf einer ­U-Bahn-Bank – glänzende Daunenjacke, schwarzes Käppi, fette Uhr. Über dem Gesicht liegt ein dunkler Schatten, in den Händen ein Smartphone. Das Cover von Selim Özdoğans neuem Roman „Der die Träume hört“ bedient auf den ersten Blick alle Klischees eines Gangsterkrimis mit harten Jungs, die von der Straße kommen, dealen, Geld machen, einer männlicher als der andere.

Wenn man das Buch aufschlägt, bekommt man in Teilen auch genau das. Und zwar bewusst. Denn hauptsächlich handelt es sich um eine scharfe Gesellschaftsanalyse und bewegende Hommage an Migrant*innen in diesem Land. Özdoğans Protagonist*innen wissen, warum sie sich weiter mit schmutzigen Geschäften und Jobs herumschlagen müssen, die sonst keine*r machen will: weil sie „Schwarzköpfe sind“, denen man keine andere Chance gegeben hat. Weil das seit drei Generationen so ist. Und weil sie in Westmarkt leben, einem fiktiven Stadtteil irgendwo im Ruhrgebiet, der mehr eine gesellschaftliche Position als einen Ort markiert und genauso auch in jeder anderen deutschen Großstadt existiert.

Selim Özdogan: „Der die Träume hört“. Edition Nautilus, Hamburg 2019, 288 S., 18 Euro

Der Icherzähler Nizar Benali hat es aus Westmarkt rausgeschafft. Er hat mal Drogen verkauft, dann wurde er Kioskbesitzer, anschließend Personal Trainer und letztlich Privatermittler für Cyberverbrechen. Er wird beauftragt, einen Dealer im Darknet ausfindig zu machen, an dessen Stoff ein Jugendlicher „aus gutem Haus“ gestorben ist. Ausgehend von diesem Plot spannt Özdoğan mehrere Geschichten auf: Nizar erfährt, dass er einen 17-jährigen Sohn hat, von dem er bislang nichts wusste. Er heißt Lesane und wohnt in Westmarkt. Er tickt und hat Schulden. Durch seinen Sohn wird Nizar in die Zeit seiner eigenen Jugend zurückgeworfen und mit Geschichten konfrontiert, von denen er eigentlich dachte, dass er sie hinter sich gelassen habe. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Kamber, mit dem er wie mit einem Bruder aufgewachsen ist, obwohl sie nicht dieselben Eltern hatten. Kamber hat sich nie vom Drogenbusiness losgerissen, war lange im Knast. Nizar brach irgendwann den Kontakt ab, um selbst den Absprung zu schaffen. Özdoğan zeichnet mit seinen Protagonist*innen unterschiedliche Wege – aus Westmarkt hinaus oder tiefer hinein. Sein Ton ist dabei weder moralisierend noch verbissen.

Der rote Faden, der sich dabei durch die Geschichten der drei Generationen zieht, ist der Wunsch nach Loyalität und der Frage, ob diese bedingungslos möglich ist. „Sei deinen Nächsten ein Rücken, egal wie falsch sie liegen, egal was sie gemacht haben. (…) Wenn man nicht immer hinter jemandem stand, egal was, konnte man es gleich vergessen. Jemand, der bei dir war, solange du alles richtig machtest, war kein Freund. Leute, die nur ein Rücken waren, solange du nicht straucheltest, waren gar keiner“, sagt Nizar. „Alles für die Familie“, sagt Sevgi.

Bei beiden klingen solche Aussagen, die oft wie „Migrantendeutsch“ daherkommen, nicht nach überzogener Gettoromantik. Am besten funktioniert die Kommunikation zwischen Nizar und seinem Sohn Lesane über HipHop. Für jeden Moment haben sie eine passende Line auf Lager. Und wissen dabei auch, wie absurd es ist, „dass irgendwelche Rapper in den USA sie besser verstehen als die Lehrer, die Ärzte, die Bullen, die Leute beim Amt, besser als ganz Deutschland“.

Die Rapper in den USA verstehen Nizar und Lesane besser als die Lehrer, die Bullen und die Leute beim Amt

Nebenbei liefert Özdoğan so einen beeindruckenden Einblick in zwanzig Jahre Musikgeschichte. Immer wieder kommen Nizar und Lesane mit Aussagen um die Ecke, die mal ernst, mal witzig, aber immer unglaublich treffend sind. Wenn Nizar sich zum Beispiel über die Anfänge des Deutschrap aufregt, der „von Streber-Weißbroten aus der Mittelschicht bevölkert war“. Oder er über seine Beziehung zu Rahel nachdenkt, die nur Studentenfreunde hatte, die es schick fanden, mit einem wie ihm befreundet zu sein. Sie benutzen ihn, um jeden Rassismusvorwurf abzuwehren, indem sie sagen: „Klar kenne ich Leute mit Migrationshintergrund.“ Irgendwann ist man als Leser*in nicht mehr überrascht von diesen Aussagen. Das stereotype Bild des unnahbaren und gefährlichen Dealers wankt von Anfang an.

Selim Özdoğan, Jahrgang 1971, stammt aus einer türkischen Familie, ist in Köln-Mülheim geboren und zweisprachig aufgewachsen. Sein Roman lebt vom ehrlichen Umgang mit den Widersprüchen und dem Druck, dem Migrant*innen ausgesetzt sind, die den sozialen Aufstieg schaffen wollen. Einmal sagt Nizar: „Wir schrien, weil wir Träume hatten. Träume von einem leichteren Leben, irgendwo. Irgendwann. Träume davon, auch etwas wert zu sein.“ Es sind Sätze, die Özdoğan aus der Erfahrung heraus schreibt, dass es für jemanden wie ihn immer schwerer war dazuzugehören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen