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Sachsen gibt’s, die gibt’s gar nicht

Neue Erkenntnisse über die ersten 1.000 Jahre Niedersachsen: die Ausstellung „Saxones“ im Landesmuseum Braunschweig

Eine solche Fibel soll die fiktive Protagonistin für die Zeit um 500 getragen haben – gefunden im Kreis Stade Foto: Landesmuseum Hannover

Von Bettina Maria Brosowsky

Die Sachsen“: Da denkt man aktuell an unsere Brüder und Schwestern im „nahen Osten“, die in ihrer Mundart so gern die Konsonanten erweichen, hartherzig aber politisch ausgrenzendem Gedankengut Raum geben.

„Die Sachsen“: Das war auch der Mythos eines Stammes heldenhaft römischer, fränkischer, welscher Vorherrschaften trotzender Männer, der in der deutschen Nationenbildung im 19. Jahrhundert oder der Konstituierung des Bundeslandes Niedersachsen anno 1946 zur Identitätsstiftung bemüht wurde.

„Die Sachsen“ gab (und gibt) es gar nicht: Das sagt hingegen die Ausstellung „Saxones“ der Landemuseen Hannover und Braunschweig, die am vergangenen Samstag als zweite Station in Braunschweig eröffnet wurde.

Mit ihrer These will die Ausstellung der archäologischen und mediävistischen Forschung der vergangenen 30 Jahre Rechnung tragen, die akribisch zwischen materiellen Artefakten und schriftlichen Quellen trennt. Diese Methode wird exemplarisch für den regionalen Raum des heutigen Niedersachsens und Westfalens durchexerziert und betrifft das erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Eine Besiedlung dieser Landstriche lässt sich zwar für 6.500 Jahren nachweisen, in dem betrachteten Jahrtausend seien aber bis heute nachwirkende zivilisatorische Weichenstellungen erfolgt: die Gründung von Städten, die Trennung von weltlicher und religiöser Macht, die Annahme römischer Rechtsvorstellungen sowie die Etablierung der Schrift in lateinischer Sprache.

Das Team um die Sachsenforscherin Babette Ludowici erzählt das Jahrtausend anhand von neun Persönlichkeiten, zwei davon historisch verifiziert, sieben weitere nach Grabfunden zu fiktivem Leben erweckt. Der erste Protagonist vertritt die Spanne um 100 nach Christi, ein Zeitraum, aus dem auch die frühesten überlieferten Textquellen stammen, nämlich die Annalen des römischen Senators und Schriftstellers Tacitus zu Geografie, Kultur und Organisationsstruktur im Betrachtungsraum.

Söhne der Anführer wurden gern in Rom erzogen, erhielten dort Bürgerrechte und konnten etwa im Heer Karriere machen. Ein Beispiel: Arminius, germanisiert „Hermann“, der sich mit Insiderwissen über römische Militärtechnik und Taktik dann allerdings in der Varusschlacht erfolgreich gegen das Imperium stellte.

Ein Gegenentwurf zum korrupten Rom

Ein Umstand, dem Tacitus durchaus positive Aspekte abgewinnen konnte: ein personifizierter Gegenentwurf zur korrupten, dekadenten römischen Verfasstheit. Wer sich hingegen loyal zu Rom verhielt, vielleicht auch gegen aufmüpfige „Gentes“ zu Felde zog, wurde mit Reichtümern belohnt, wie ein Grabfund aus dem Raum Celle belegen soll. In den Landen rechtsrheinisch des römischen Imperiums schienen beide Seiten also aufs Einträglichste vonein­ander profitieren zu wollen.

Mit dem zerfallenden römischen Reich diversifizierten sich die Beziehungen nach Gallien, Südskandinavien, Thüringen. Die Protagonistin, eine an die Elbe versprochene Kindsbraut aus dem Mitteldeutschen, vertritt den Zeitraum um 500, die herkunftstypischen Fibeln an ihrem Gewand stammen aus einem Grabfund im Landkreis Stade.

Erst Karl dem Großen gelang in den Sachsenkriegen um 800 die Unterwerfung und Christianisierung des heidnischen Raumes zwischen Rhein und Elbe. Einem Kulturalisierungsprogramm von Königtum, Kirche und Adel entsprang die Einrichtung von Bistümern, Reichsklöstern und Stiften: Die erste Äbtissin des Damenstiftes Gandersheim, Hathumod, steht für eine neue Allianz aus christlichem Glauben und adeligem Repräsentationsstreben; dieser schien kein Import heiliger Gebeine römischer Märtyrer, kein Schrein oder Runenkästchen zur Ostension der Reliquien zu aufwendig.

Der museale Erzählkreis schließt sich mit Widukind, im 10. Jahrhundert Mönch im Kloster Corvey und Verfasser der bis heute aufgelegten Schrift „Res gestae Saxonicae“ – „Sachsengeschichte“. Er konnte auf eine Abschrift der Tacitus-Annalen zurückgreifen, dichtete die Sage zum Ursprung einer Ethnie hinzu. Die Bezeichnung „Sachsen“ übrigens leitet sich aus dem Wort „Sax“ ab: die germanische Bezeichnung für ein einschneidiges Schwert oder Messer, gern im Gebrauch seefahrender, plündernder Gruppen. Das wirft dann noch mal ein ganz anderes Licht auf unsere Brüder und Schwestern im heutigen Osten.

Saxones. Das erste Jahrtausend in Niedersachsen“: bis 2. 2. 2020, Braunschweig, Landesmuseum

Begleitprogramm (Auswahl):

„Anders als Sie denken: Das 1. Jahrtausend in Niedersachsen“, Vortrag von Babette Ludowici, Abteilung Archäologie, Braunschweigisches Landesmuseum: Di, 29. 10., 19 Uhr;

„Nazis im Wolfspelz – Sachsen, Germanen und der rechte Rand“: Vortrag von Karl Banghard, Archäologisches Freilichtmuseum Oerlinghausen: Di, 10. 12., 19 Uhr

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