: Lautliche Qualitäten des Stöhnens
Virtuos und milde dadaistisch – das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater BAM! führte in der Volksbühne„De Pornopera“ der Komponistin Huba de Graaff auf sowie „Replay“, eine Studie über Wiederholung
Von Katharina Granzin
Eine Frau steht auf der Bühne und stöhnt, atmet heftig, seufzt, fiept, keucht und schreit schließlich aus ganzem Leibe. Sie ist flankiert von zwei Harfenistinnen im 45-minütigen Dauereinsatz: Sie begleiten die vokale Performance instrumental sowie stimmlich und geben damit gleichsam die musikalischen Engel des Orgasmus.
Denn um nichts weniger geht es in „De Pornopera“, einem Stück der niederländischen Komponistin Huba de Graaff. Die Handlung von Opern dreht sich oft, oder meistens, um sexuelles Begehren, ist aber zugleich höchst artifiziell verpackt. De Graaffs Bestreben ist es, die reine, ungefilterte Körperlichkeit für die Bühne zurückzugewinnen. Im Finale einer klassisch-romantischen Sinfonie sieht sie – laut Programmheft – „das sublimierte Leitbild der männlichen Ejakulation“. Eine dezidiert feministische Komposition muss also folgerichtig den gegensätzlichen Weg gehen, offensiv gegen diese Sublimierung arbeiten und einen lautlichen Kontrapunkt zur „männlichen Ejakulation“ schaffen. Für „De Pornopera“ hat die Komponistin die Tonspur von Pornofilmen auf Varianten und lautliche Qualitäten weiblichen Stöhnens analysiert und diese anschließend verarbeitet. Die resultierende Performance, wie sie am Eröffnungsabend des viertägigen Berliner Festivals für aktuelles Musiktheater BAM! in Berlin von Soetkin Demey, Eva Tebbe und Ekaterina Levental in der Volksbühne dargeboten wird, ist so virtuos wie milde dadaistisch und von einem unterkühlt hintergründigen Humor. Das fleißige, gleichmäßige Himmelsgeperle der Harfenklänge konterkariert das scheinbar ungeordnete Gestöhne und Geseufze der Stimmkünstlerin, und die vollkommen ausdruckslosen Mienen der Performerinnen bilden einen maximalen Kontrast zur auditiv suggerierten Ekstase.
Mit der deutschen Erstaufführung von de Graaffs „Pornopera“ eröffnete das BAM!-Festival für zeitgenössisches Musiktheater, das mit der diesjährigen Ausgabe in seine zweite Runde ging, zugleich eine neue Programmschiene. Ab jetzt soll es jeweils auch einen internationalen Fokus geben. Unter dem Motto „Berlin meets Rotterdam“ waren drei niederländische Produktionen eingeladen. Dass die Berliner Szene selbst bereits in sich sehr international vernetzt ist, spiegelt sich allerdings ebenfalls im Programm wieder, unter anderem in der Besetzung von „Replay“, einem Stück des Regie/Text-Duos Björnsson/Marx. Ein isländisch-griechisch-deutsches Trio (Thorbjörn Björnsson, Evdoxia Filippou, Tobias Christl) spricht, singt und spielt darin Texte und Musik von Filippou, Christl, Julia Marx und Willibald Gluck, nämlich aus dessen Oper „Orpheus und Euridike“. Der Bühnenraum des Ackerstadtpalastes, der neben der Volksbühne, dem Ballhaus Ost und der Elisabeth-Kirche den 13 eingeladenen Stücken ein Dach bot, hat für die Produktion den Look einer mit Instrumenten vollgerümpelten Musiker-WG angenommen. Eine erstaunliche Menge an Tasteninstrumenten, ein Schlagzeug und ein Vibrafon werden von Kühlschrank, Standdusche – auf der jemand sorgsam einen Haufen vertrockneter Zimmerpflanzen arrangiert hat –, Matratze und Mikrowelle komplettiert.
Fürs „Replay“ des Titels sind Kassetten- und Videorecorder zuständig. Wiederholung ist das übergreifende Thema des Abends, gemeinsam mit ihrem Gegenpol, dem ersten Mal. Wo ist das „first time feeling“ geblieben, wenn das erste Mal von was auch immer vorbei ist? Wo bleibt sein Zauber? Die Demontage dieses Zaubers ist grundlegendes Konstruktionsprinzip der Produktion, die ein Abend der angefangenen Bruchstücke ist.
Kunstvoll kunstlos
Auf kunstvolle Art kunstlos singend, wie nebenbei irgendwelche Instrumente anspielend, sich gegenseitig Gedankenfetzen zuwerfend, arrangieren die drei AkteurInnen sich in immer neuen Konstellationen. Nur manchmal darf ihr musikalisches Können sich für Minuten entfalten. Christl brilliert jazzig mit Klarinette, während Björnsson penetrant „Jazz! Jazz!“ schreit. Filippou, Schlagzeugerin von Haus aus, gibt eine virtuose Soloperformance und spielt auf dem Vibrafon mit dem Plattenspieler um die Wette, nur um denselben anschließend wütend zu zertrampeln. Kein Replay mehr. Das alles ist in seiner zerstörerischen Fragmentarität nicht immer durchschaubar, hat aber sehr unterhaltsamen Reiz. Jeder Anfang birgt ein Versprechen, das nur selten eingelöst wird. Das wird hier jedenfalls mal in echter Konsequenz und mit viel Genuss vorgeführt. So viel gesunder Sinn für das Uneigentliche im Ernst der Kunstproduktion kann letztlich nur abseits der großen, etablierten Häuser entstehen. Es ist dem Festival zu wünschen, dass es diese Nische dauerhaft besetzen kann.
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