Die Hundeversteher

Sitz, Platz, Fuß, Aus. Kein Köter kommt von selbst auf die Idee, diesen Befehlen Folge zu leisten. Abhilfe versprechen die zahlreichen Hundetrainer, deren Ausbildung – wenn sie denn eine haben – nicht gerade billig ist. Dennoch sind die Kurse des Experten Michael Grewe Monate im voraus ausgebucht

von Andrea Mertes

„Der tut nichts, der will nur spielen“. Für diesen Satz aus dem Mund eines Hundehalters hat Michael Grewe nichts übrig. „Das ist eine miese Ausrede“. Es gehört zu Grewes auffallendsten Eigenschaften, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Der Mann spricht Sätze, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben – für seinen Beruf eine notwendige Voraussetzung. Grewe ist Hundetrainer und Verhaltensberater, mit seiner Frau betreibt er in Bad Bramstedt zwischen Hamburg und Neumünster eine Hundeschule und die „Pension Hundeleben“.

2002 hat er außerdem zusammen mit dem ein Jahr später verstorbenen Wolfsforscher Erik Zimen in Hessen „Canis – Zentrum für Kynologie“ gegründet. Kynologie ist die wissenschaftliche Lehre von Hunden, Kynologen sind Verhaltensforscher, die sich auf Hunde und ihre Artverwandten spezialisiert haben. Dass es Hunde gibt, die einfach nur spielen wollen, weiß Grewe natürlich auch. Der Satz „Der will nur spielen“ sei deshalb nur in den Fällen eine Ausrede, in denen ein Hund „aggressive Verhaltensweisen“ zeigt. Nur: Wer kennt sich mit Hunden schon so genau aus, um beurteilen zu können, was das Tier als nächstes plant. Spüre ich gleich seine Zähne in meinem Bein oder legt er mir ein nassgesabbertes Bällchen vor die Füße?

Canis betreibt deshalb so etwas wie Aufklärungsarbeit in Sachen Hund. In zwölf Artikeln stehen – über allem – die Rechte des Hundes geschrieben. Artikel 1: „Der Hund hat das Recht auf einen sachkundigen Besitzer.“ Ein solcher Besitzer, heißt es weiter, „ist informiert über die wölfische Abstammung seines Hundes und die daraus resultierenden Folgen im Zusammenleben.“ Wölfe? Jawohl, Wölfe. Weil die meisten Menschen von Wölfen keine Ahnung haben – und in dieser Logik damit auch nicht von Hunden –, bietet Canis Seminare und Workshops an, zum Beispiel zum Spiel- und Aggressionsverhalten der Tiere. Herzstück des Zentrums ist jedoch das mehrjährige Studium zum Hundetrainer und Verhaltensberater. Genau das trifft offenbar den Nerv der Gesellschaft. Die meisten Veranstaltungen sind Monate im Voraus ausgebucht, 150 Menschen lassen sich bei Canis derzeit zum Hundetrainer ausbilden – kein billiges Unterfangen. Die Kosten für das Studium betragen rund 7.000 Euro. Offenbar lohnt sich die Investition. Hundetrainer – ob sie nun 35 oder 100 Euro die Stunde nehmen – können sich über einen Mangel an Nachfrage nicht beklagen.

Auf dem Markt tummeln sich daher neben Hundetrainern auch Hundepsychologen, Dogmaster und Problemhundecoachs, ja sogar Dogwhisperer: Jeder scheint seine eigene Didaktik entwickelt zu haben, um effizient und effektiv Erfolge zu erzielen. Dabei geht es der Kundschaft im Kern immer um die gleichen Dinge: Der Hund soll brav an der Leine gehen, er soll nicht jagen, er soll keine anderen Menschen erschrecken und auf Kommando „Platz“ machen. „Sekundärtugenden“ nennt Grewe das Befolgen der Befehle. Den Hundeschulen bescheren solche Erziehungswünsche stete Kundschaft. Schließlich ist keinem Hund das Wissen ins Körbchen gelegt, was die Worte „Bei Fuß!“ bedeuten. Dafür ist ihm etwas anderes mit auf dem Weg gegeben, eine Primärtugend sozusagen: das Bedürfnis nach einer Rangordnung. Genau das scheint über dem ganzen Erziehungsrummel manchmal unterzugehen. Zumindest, wenn man Grewes reicher Anekdotensammlung zuhört. Oder wenn man sich in Erinnerung ruft, wie brav der Nachbarshund an der Leine geht – nur um dann im Treppenhaus auf absichtsvolle Weise den Aufgang zu versperren. Das Sekundäre klappt, das Primäre offensichtlich so gar nicht. Grewe sagt dazu: „In Ländern wie Rumänien weiß kein Hund, was die Befehle ‚Sitz‘, ‚Platz‘ oder ‚Fuß‘ bedeuten. Aber er weiß, was er darf und was nicht.“

Grewe hat einen Lieblingsausdruck, um zu beschreiben, wie es sich anfühlen muss, wenn die Rangordnungen im Leben stimmen. „Einen gut gefütterten Bauch haben“, nennt er das. Eine Canis-Studentin hat es einmal anders beschrieben: „Seit ich bei Michael war, habe ich meine Kinder besser im Griff.“ Klare Regeln fürs soziale Miteinander machen eben nicht nur die Mensch-Hund-Kommunikation leichter. Deshalb hängt vor der Tür der Grewes: „Bitte klingeln. Sie werden abgeholt.“ Nicht, weil die Grewes Fremden gegenüber misstrauisch wären. Sondern weil auf dem 5.000 Hektar großen Gelände Tiere frei herumlaufen und Kinder spielen. Und weil mancher Kunde seinen Rottweiler unangeleint laufen lässt, ohne dass die Rangordnung geregelt ist. Das sind dann Momente, in denen Michael Grewe ganz sicher nicht auf den Satz vertraut: „Der will nur spielen.“