: Der Dancehall-Metzger
Als Noise-Musiker suchte Kevin Martin in den Neunzigern den Schmerz im Klang. Dann entdeckte er den Dubreggae. Nun dreht er mit seinem Projekt The Bug Dancehall durch seinen Fleischwolf
VON ANDREAS HARTMANN
Als „Never Mind the Bollocks“, das klassische Album der Sex Pistols, 1977 dann endlich erschien, soll John Lydon aka Johnny Rotten damit gar nicht zufrieden gewesen sein. So schreibt Simon Reynolds in seinem kürzlich erschienen Buch über Post Punk, „Rip It Up And Start Again“.
Denn John Lydon war damals schon passionierter Reggae- und Dubfan, der die Arbeiten jamaikanischer Produzenten für wirklich radikal und visionär hielt und es dann nicht fassen konnte, dass Malcolm McLaren mit dem stumpfen Drei-Akkord-Punk der Sex Pistols das Abendland nachhaltig erschüttern wollte. Seine Vorlieben für Reggae lebte Lydon dann nach dem Ableben der Sex Pistols in seinem Projekt PIL aus.
Auch Kevin Martin, der sich sein Leben lang damit herumgeschlagen hat, seine Musik zu radikalisieren, und als einer der extremsten Noise-Adepten der Neunziger gilt, musste irgendwann erkennen, dass Lautstärke und der erhabene Bass, die zwei Elemente, um die es ihm immer bevorzugt ging, bereits perfekt in der Soundsystem-Kultur Jamaikas ausgestellt wurden. Er, der in seinen Projekten wie God, Ice oder Techno Animal versuchte, Musik als körperliche Schmerzerfahrung zu verstehen und den reinen Krach, ähnlich wie Hermann Nitsch seine Kunst, als reinigendes Gewitter und Kontemplation ansah, musste erkennen, dass Lee Perrys und King Tubbys Spielereien mit Hall- und Echo-Effekten irgendwie doch kranker klangen als seine eigenen ikonoklastischen Avantgarde-Gesten. Deswegen verabschiedete er sich Ende der Neunziger zunehmend von Noise, Industrial und all dem, was sonst noch so weh tut, um als The Bug den postmodernen Dancehall-Wizzard zu mimen.
Es muss Kevin Martin einen Heidenspaß gemacht haben, als er 2001 seinen ersten The-Bug-Release heraushaute. Seine Fans hatten sich zwar an Martins permanenten Drang zu Transformationen gewöhnt, doch bei vielen Noise-Fans hat Reggae immer noch einen ähnlichen Ruf wie Britney Spears. Aber Martin war noch nie einer, der es unbedingt seinen Fans Recht machen wollte und für ihn war der Schritt hin zur Dancehall-Kultur ja kein Beleg für Altersmilde, sondern im Sinne seines „Hören mit Schmerzen“-Gedankens nur konsequent. Gern hätte er mit The Bug auch den Reggae- und Dancehall-Betrieb aufgemischt, der sich für seine Begriffe ebenfalls zu sehr selbst genügt, doch auf Jamaika hat man eigentlich noch nie auf irgendwelche Spinner aus England gewartet, die ihre Musik durch den Fleischwolf drehen. Und The Bug dreht nunmal den Reggae durch den Fleischwolf. Denn letztlich führt er seinen Job als Soundmetzger nun nur auf einem anderen Gebiet aus als früher. Aus den spastischen Zuckungen seines Maschinenlärms bastelt er nun eben irre Beats, zu denen er als Gäste am Mikro Dancehall-Außenseiter wie Daddy Freddy, Paul St. Hilaire aka Tikiman oder Ras B Maschinengewehr-Salven shouten lässt.
Kevin Martin hat mit The Bug somit etwas ziemlich einzigartiges geschafft: Noise-Dancehall. Vor allem in England hat er damit einiges an Aufsehen erregt. Die Grime-Sensation M.I.A. hat sich bereits von Martin ein wenig Wahnwitz für ihre Tracks eingekauft, und Mark Stewart, der mit seiner damaligen Band The Pop Group als einer der ersten Punk durch Reggaeeinflüsse entgrenzte, plant sein Comeback ebenfalls mit Hilfe von Martins Studio-Berserkereien. Martin scheint endgültig da angekommen zu sein, wo er immer hinwollte. Der Elitismus in der experimentellen Musik habe ihn zunehmend angewidert, gab er vor kurzem in einem Interview an. Um diesen soll es nun auch wirklich nicht mehr gehen, sondern nur noch um die endgültige Party und sonst gar nichts.
„The Bug feat“. Ras, Paul St. Hilaire aka Tikiman, Scion, Alec Empire, Al Haca: 13. 8. Maria ab 23 Uhr