Der Feuerwassermann

Menschen an der Klippe: Heute vor 50 Jahren ist Thomas Mann gestorben. Seinem Namensvetter, dem Koch und Schriftsteller Klaus Thomas Mann, geht es auch nicht gut

FANORE taz ■ Er ist dünner geworden. Das liegt am Stress. Nach vierjährigem Urlaub hat Klaus Thomas Mann wieder einen Job. Er hat gemeinsam mit seiner Freundin Rosaleen ein kleines Restaurant an der irischen Westküste eröffnet: „Lazy Tom’s Café“. Seitdem geht es mit ihm bergab. Das liegt nicht am Essen, denn kochen kann er. Es liegt an den widrigen Umständen.

Das Restaurant war keine zwei Wochen geöffnet, als das erste Malheur passierte: Die Zollfahndung rückte mit acht Mann an und beschlagnahmte tausend Flaschen Wein. Klaus Thomas hatte vergessen, die Einfuhrbehörde darüber zu informieren, dass es sich bei der auf dem Frachtbrief als „Ersatzteile“ deklarierten Ware um alkoholhaltige italienische Ersatzteile für die leeren Weinregale handelte.

Seine Liebe zum erlesenen Wein und guten Essen hat Klaus Thomas vom französischen Filmregisseur Claude Chabrol, für den er zwei Jahre lang als Standfotograf arbeitete. „Chabrol hat höchstens acht Stunden am Tag gearbeitet und morgens bereits das Abendessen geplant“, sagt Klaus Thomas. „Am Ende der Dreharbeiten hat es stets ein Riesenfest mit einer Hummerpyramide gegeben, die größer war als er selbst.“

Später ging Klaus Thomas nach Hollywood und arbeitete für eine Reihe von Schauspielerinnen, darunter Greta Scacchi und Isabel Huppert. Mit Gelassenheit war er damals noch nicht gesegnet. Als Greta Scacchi ihn einmal drei Stunden warten ließ und dann den Fototermin um einen Tag verschieben wollte, warf Klaus Thomas ihr seine Kamera ins Kreuz. Dadurch kam seine Hollywood-Karriere zu einem abrupten Ende.

Er ging nach San Francisco und eröffnete im miesesten Viertel der Stadt ein Restaurant namens „Suppenküche“. Nachdem der Laden in einer Schwulenzeitung wohlwollend besprochen worden war, lief er wie geschmiert, sodass Klaus Thomas mehr Leute einstellte und sich seiner eigentlichen Bestimmung widmete: Er verbrachte die Abende nicht mehr hinter der Theke, sondern davor, trank Whiskey und rauchte dicke Zigarren, was damals schon illegal war in Kalifornien. Einmal hielt er es gemeinsam mit dem Dramatiker Heiner Müller 48 Stunden auf dem Barhocker aus, unterbrochen nur durch kurze Pinkelpausen.

Bald verlor er jedoch die Lust an den USA, ging zurück nach Deutschland, schrieb einen Roman über die „Suppenküche“ und eröffnete am bayerischen Staffelsee ein neues Restaurant. Da es dort aber keine Schwulenzeitschrift gab, die ihm mit einer überschwänglichen Besprechung zu Gästen verhelfen konnte, ging der Laden bald Pleite. Klaus Thomas machte ein letztes Mal gründlich sauber, schloss den Laden ab und wartete auf den Hauseigentümer, um ihm den Schlüssel zu übergeben. Dann stürzte die Decke des Speisesaals ein.

Klaus Thomas flüchtete nach Irland, lebte vom Ersparten und allerlei kleinen Geschäften, über die hier der gnädige Mantel des Schweigens ausgebreitet werden soll, bis er nach vier Jahren genug Kraft gesammelt hatte, um es in der kulinarischen Wüste Westirlands erneut mit einem Restaurant zu wagen: „Lazy Tom’s Café“ in Craggagh. Der Zwischenfall mit der irischen Zollfahndung war ein kleiner Rückschlag, von dem sich Klaus Thomas schnell erholte. Drei Tage später allerdings passierte ein weiteres Missgeschick: Sein Haus brannte ab.

Es war einer jener Anrufe, die man zunächst nicht sonderlich ernst nimmt. „Das reetgedeckte Dach brennt“, hatte der Nachbar gesagt, „aber ich stehe mit einem Eimer Wasser auf einer Leiter und werde die Lage in den Griff bekommen.“ Klaus Thomas schob in Ruhe den Schweinebraten mit Dunkelbiersauce in den Ofen. Dann rief der Nachbar wieder an. „Der Eimer Wasser hat nicht die erhoffte Wirkung erzielt“, sagte er, „inzwischen brennt der Dachstuhl.“

Nun machte sich Klaus Thomas auf den Weg, der immerhin 25 Kilometer lang war. Schon nach der Hälfte der Strecke sah er die Rauchsäule. Als er ankam, waren zwei Löschzüge damit beschäftigt, das Schlimmste zu verhindern. Dann ging ihnen das Wasser aus. Es dauerte eine Weile, bis ein Bauer mit einem Wassertankwagen zu Hilfe kam. Inzwischen brannte das obere Stockwerk lichterloh.

„Der Imbisswagen steht zu dicht am Haus“, meinte ein Feuerwehrmann und zeigte auf die Berliner Currywurstbude, die Klaus Thomas und Rosaleen demnächst vor ihrem Restaurant einsetzen wollen, damit der Gestank von Pommes frites draußen bleibt. „Wenn der Giebel einstürzt, ist es um die Bude geschehen.“ Zum Glück besaß der Nachbar, der beherzt den Eimer Wasser auf das Dach geschüttet hatte, ein Auto mit Anhängerkupplung, an die er die Würstchenbude hängte. Dabei verlor er den Autoschlüssel. Der Feuerwehrmann raufte sich die Haare. „Statt den Imbisswagen wegzuziehen, habt ihr ein Auto dazugestellt“, fluchte er. „Spekuliert ihr vielleicht auf die Versicherung?“

Kaum hatten die Nachbarn die Würstchenbude und das Auto ein Stück weggezogen, da stürzte die Wand ein, und man konnte beobachten, wie Klaus Thomas’ beeindruckende Schnapssammlung mit einer Stichflamme in die Luft ging. Selbst der Feuerwehrmann war fasziniert. Ob es sich bei dem Haus um eine Brennerei handle, wollte er wissen. Irgendwann ging das Feuer von alleine aus, weil es nichts Brennbares mehr gab. Zwei Wände und ein Haufen Trümmer waren von dem Haus übrig geblieben.

Doch nicht alles war verloren. Klaus Thomas fand am nächsten Tag sein hölzernes Jesuskreuz und eine heilige Wachskerze aus Mexiko völlig unversehrt in der Ruine. Er hat beides im Restaurant aufgestellt und hofft nun, dass Pilger aus aller Welt in den Laden strömen, wenn der Papst die Sache als Wunder anerkennt. Das wäre das Mindeste, das Benedikt XVI. für seinen Landsmann tun kann. Vielleicht kann er bei der Gelegenheit auch gleich das Leitungswasser in Wein verwandeln. Dagegen wären selbst die Zollfahnder machtlos. RALF SOTSCHECK

„Lazy Tom’s Café“, Craggagh, Fanore, County Clare, an der Westküste Irlands, Telefon: (0 03 53 65) 7 07 69 69.