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Archiv-Artikel

Bewegungsclowns

Jeder sein eigener Steigbügel zu sich selbst: Ein virtuoses Männerduett und zwei pfeifende Frauensoli bei der Tanzwerkstatt Europa in München

VON SABINE LEUCHT

Zwei Frauen: jede auf ihrem eigenen Tripp. Zwei Männer zusammen: Einer lässt ein lang gezogenes „Aahhhh“ allmählich in den Keller purzeln. Der andere schlurft dazu mit hängenden Armen über die Bühne und wird mit jedem Schritt kleiner. Ganz so, als würde er dem Ton auf der Stelle nachsteigen wollen. So machen das die beiden eine ganze Weile, dann tauschen sie die Rollen.

Mit leisem Humor und einem Minimalrepertoire von Bewegungen und Schritten haben Jonathan Burrows und Matteo Fargion bei der Münchner Tanzwerkstatt Europa ihr neues Duett uraufgeführt. „Quiet Dance“ ist nicht die erste Koproduktion des britischen Tänzer-Choreografen mit dem Komponisten aus Mailand. Erst 2003 tourten sie mit „Both Sitting Duet“ durch 17 Länder, um gemeinsam nur ihre Hände für sich sprechen zu lassen. Die räumliche Konzentration hatte dem Verspielt-Repetitiven dieser Choreografie gut getan, die unter anderem mit dem begehrten New Yorker „Bessie“ Award ausgezeichnet wurde. Nun schreiten Burrows und Fargion weiter den Raum aus und die Ausdruckskraft beginnt zu lahmen: Zwei kahl geschorene Mittvierziger, annähernd gleich in dunkle Hosen und weiße, weite Hemden gekleidet, machen abwechselnd „Aahhhh“ oder mahnen einander zischelnd zur Stille: „Psch …!“. Dann drehen sie sich auf die immer gleiche Art, schreiten Kreise ab, üben Synchronität und demonstrieren die Mühe, die es kostet, sie auch zu erreichen: Vor allem die Beine bocken und weigern sich, parallel zueinander zu bleiben, sie sind bewusst eingesetzte Querschläger in der ohnehin schon eckigen Choreografie zweier stiller Bewegungsclowns.

Was die Virtuosität und den Schauwert angeht, ist diese kaum einstündige Performance im leeren Raum keine große Sache. Denn wenn ein Tänzer und ein Nichttänzer derart um eine gemeinsame Sprache ringen, werden sie diese notgedrungen in der beiden zugänglichen Mitte finden: im Halbgekonnten, im lediglich Eckdaten kommunizierenden Kauderwelsch. Doch hält man sich das diesjährige Thema der Tanzwerkstatt vor Augen, muss man „Quiet Dance“ als gelungen betrachten: Die Kunstform, die so viele andere integriert, darf hier nämlich einmal selbst die Fragen stellen. Sie soll demnach nicht intellektuell, sondern mit den Mitteln des Körpers den Raum erkunden, den Übergang zwischen Bild- und Bewegungskunst oder auch das Feld des Politischen und unser Verhältnis zueinander. Letzteres steht in „Quiet Dance“ im Zentrum: Tanz wird hier augenzwinkernd und ganz buchstäblich als Mittel vorgeführt, Zwischenräume zu überwinden.

Dann – zwei Tage nach diesem getanzten Zueinanderhin zweier Männer – das exakte Gegenstück: „Two ones“ ist eine Abfolge zweier Soli, die unterschiedlicher kaum sein könnten. In „hierundoderhierundoderhierundoderdort“ konturiert Anna Huber die Unentschlossenheit des Einzelnen auf vielfältige Weise. Im orangefarbenen Trägerkleid steht sie vor einem weißen Quadrat an der Rückwand der Muffathalle, dann rutscht sie mit dem Rücken daran herunter, bis sie auf einem unsichtbaren Stuhl zum Sitzen kommt. Mal hangelt ein nach hinten abgespreiztes Bein, mal drückt ihr Kopf gegen die Mauer, mit der die oft in Berlin und derzeit in London arbeitende Schweizerin immer wieder Kontakt sucht.

Die Wand ist ihr Begrenzung, Partner und manchmal auch schlicht der Hintergrund, vor dem sie die Arme zu Flügeln aufklappt und die Aufmerksamkeit nach innen faltet. Einmal macht sie uns glauben, dass ihr Kopf sich vom Körper gelöst hat, ein anderes Mal, dass ihre Füße über dem Boden zu schweben beginnen. Huber formt optische Täuschungen als Skulpturen ihrer selbst, sie kann ihre eigenen Hände als Steigbügel benutzen – und käme damit sicher überall hin. Statt dessen geht sie pfeifend hinaus und lässt ihre pfeifende Partnerin auf die Bühne.

Was ein Fehler ist. Denn Kristyna Lhotáková, 1977 in Prag geboren, wartet mit nichts als ihrer naturbelassenen Anmut und einer dreisten Behauptung auf: Dass das ungestaltete Warm-up einer Rhythmischen Sportgymnastin etwas sei, was man nach Hubers hoch konzentrierter Bewegungsstudie sehen will. „I am here, you are at home“ ist eine belanglose Abfolge nach außen gekehrter Impulse. Ihr Solo habe mit Schizophrenie zu tun, behauptet Lhotáková vage. Da wäre man tatsächlich lieber schon zu Hause gewesen.