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High Noon mit Tieren

Ein maximal ungewöhnlicher, wenn auch nicht perfekter Film: Der inklusive Western „Adamstown“, entstanden im Kehdinger Land an der Unterelbe, feiert am Samstag auf dem Filmfestival in Oldenburg seine Weltpremiere

Von Wilfried Hippen

Eine Schießerei? Klar, ist ja ein Western, da gehört so was zum Standard. Aber eine zwischen erwartungsgemäßer Revolver­heldin – und Würmern? „Würmer“, das ist hier nicht als Beleidigung gemeint, sondern beschreibt akkurat Familie Johnson: Deren Mitglieder werden zwar offensichtlich von Menschen gespielt, allerdings in dunkelbraunen Ganzkörperkostümen, sodass man sie, mit etwas gutem Willen, als, eben: Würmer erkennen kann. Zumal: Sie gehen über Leichen und Kadaver, um zu verhindern, dass die Tiere in der Stadt eine Bank bauen – auch das ist eine für einen Western eher unübliche Prämisse.

Aber „Adamstown“ von Patrick Merz und Henning Wötzel-Herber ist auch kein gewöhnlicher Film. Grundlage ist eine Graphic Novel der Hamburgerin Verena Braun, die auch selbst eine Handvoll Lieder komponiert und getextet hat, die sie dann zum Teil sogar selbst im Film vorträgt. Brauns Stoff vermischt das vergleichsweise junge Filmgenre, also den Western, mit einem sehr alten literarischen: der Fabel. „Wurm und Igel um 12 Uhr mittags“: Das wäre eine geeignete Umschreibung, wie gemacht, um Geldgeber*innen zu überzeugen.

Aber ein „Pitching“, also eine knackige Kurzvorstellung vor potenziellen Produzent*innen hat nie stattgefunden im Fall von „Adamstown“: Der Film entstand ohne Fördergelder im Kehdinger Land am Unterlauf der Elbe. Ein gänzlich niedersächsisches Erzeugnis also – perfekt eigentlich für eine Fördereinrichtung wie die Nordmedia. Aber, wie gesagt: Bei „Adamstown“ ist kaum etwas gewöhnlich.

So ein Film ist ja eine kollektive Sache, eine Produktion also immer auch ein soziales Experiment. Die Initiator*innen von „Adamstown“ nun haben, um nahe am Western zu bleiben, das Pferd von hinten her aufgezäumt (um im Bild des Western zu bleiben): Produziert hat den Film das ABC Bildungs- und Tagungszentrum in Drochtersen-Hüll, eine Institution, unter anderem spezialisiert auf medienpädagogische Erziehung. Die wichtigste Motivation diesen Film zu machen, beschreibt ein Pressetext so: „Bildungsarbeit für Toleranz und Vielfalt und ein mit Laien entstehender Film in Kinoqualität wurden verknüpft.“ Der Prozess ist also wichtiger als das Ergebnis – die „Kinoqualität“ lässt sich in diesem Fall durchaus in Frage stellen, ohne dabei „Adamstowns“ andere Qualitäten gering zu schätzen.

Noch eine Besonderheit: Es handelt sich um ein inklusives, ein diverses Unterfangen. Mehr als 100 Beteiligte waren es, von Kindern bis Senior*innen; Menschen mit und ohne Behinderungen; aus Krisenregionen Geflüchtete; Menschen unterschiedlicher geschlechtlicher Identitäten und sexuellen Präferenzen. „Nicht die Menschen wurden an die Rollen angepasst“, so der zitierte Pressetext weiter, „sondern die Rollen und Geschichte an die teilnehmenden Menschen“.

Die Regisseure ließen also den am Film Beteiligten vor und hinter der Kamera soviel Freiraum wie möglich. Das Ergebnis ist zwangsläufig eher ein filmischer Flickenteppich als ein stilistisch und dramaturgisch stimmiges Werk. Aber das wird auch nie kaschiert, und so entwickelt der Film eine ganz eigene Faszination – und langweilig ist er nie.

Würme und andere: Mehr als die Hälfte der Darsteller*innen verkörpern Tiere, und das in sehr unterschiedlicher Maske: Dem Igel wurde einfach ein Gesicht aufgesetzt, das an die alte deutsche Bildergeschichtenfigur Mecki erinnert, das Pferd hat eine lange Mähne und wiehert manchmal zwischen seinen gesprochenen Sätzen. Die Vögel etwa kann man trotz langer Schnäbel eigentlich erst erkennen, wenn sie ausdrücklich als solche angesprochen werden. Es wird viel gesungen und getanzt in „Adamstown“, am besten ist das gelungen beim Showdown: Der kommt nicht ohne gezogene Revolver aus, klar – aber auch nicht ohne Choreografie.

Für viele der Darsteller*innen ist Deutsch nicht Muttersprache. Manchmal waren die Filmmacher*innen konsequent und haben sie in einer ihnen vertrauten Sprache sprechen lassen und das dann untertitelt. Dann ließ man sie Deutsch sprechen, aber mit einem derart merklichen Akzent, dass man sich auch hier Untertitel gewünscht hätte.

Noch mal zur Fabel, die der Film erzählt: Die ursprünglichen Bewohner – nicht wie im Western üblich native americans oder gar „Indianer“, sondern „Kehdinger“ – haben Adamstown mit einem Fluch belegt: Kein Mensch kann dort mehr etwas bauen. Also sind es Tiere, die sich vornehmen eine Bank zu errichten. Was eigentlich den Fluch aufheben soll, stößt auf Widerstand, die meisten (menschlichen) Bewohner*innen sind tierfeindlich, aber sogar die schon erwähnten Würmer haben etwas gegen das Projekt. Bemerkenswert: Die Dialoge sind mit Originalzitaten von Karl Marx, Bert Brecht und Albert Einstein gespickt.

Eine der wenigen als solche erkennbaren Westernfiguren ist die Revolverheldin, die schnell ziehen sowie grimmig gucken kann und eine knallige Todeszene hinlegen darf – inklusive Liebeserklärung an eine Bardame. Diese kleine Hommage an die berühmte Hosenrolle von Doris Day („Calamity Jane“) ist natürlich auch ein Bruch mit den Geschlechter-Konventionen (nicht nur) im Western, und auch auf dieser Ebene gibt es in „Adamstown“ vieles zu entdecken.

Auf anderen Festivals, etwa dem anstehenden in Hamburg, wäre diese seltsame Mischung aus Genrefilm und innovativer Medienpädagogik fehl am Platze. Der Leiter des Internationalen Filmfestivals Oldenburg aber, Thorsten Neumann, liebt solches Kino, solche Filmemacher*innen, die sich etwas trauen, und bei denen es nicht entscheidend ist, ob das Ergebnis rundherum gelungen ist. Und so rollt das Festival am Samstag den roten Teppich aus für die „Adamstown“-Weltpremiere mitsamt Gala. Und weil dazu alle Beteiligten eingeladen sind, könnte es nachher eng werden auf der Bühne.

Termine: Sa, 14.9., 21 Uhr, Oldenburg, Staatstheater; So, 15.9., 16.30 Uhr, Exerzierhalle);

https://adamstownfilm.com;

www.filmfest-oldenburg.de

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