: Gerne mal Probe liegen
Sie kennt den Vorteil einer punktelastischen Matratze: ein Treffen mit Sabine Köhler, zum Abschluss der Serie „Berliner Verkäuferinnen und wie sie den Laden hier am Laufen halten“
Von Dorothee Wenner
Beim Thema Bettenkauf denkt man natürlich als Erstes an das Probeliegen beziehungsweise an Loriots berühmten Sketch. Tatsächlich birgt diese an sich profan-alltägliche Transaktion Gefahr, schnell zu einer komplizierten Ausnahmesituation zu werden, nicht nur, weil die meisten Menschen eher selten Betten oder Matratzen kaufen. Sofern man sich bei der Anschaffung beraten lassen möchte, gewährt man notwendigerweise Einblicke in eine Intimsphäre, die selbst engen Freunden verschlossen bleibt.
Mithin eine Herausforderung für viele Kunden, insbesondere Paare – ein Spaziergang hingegen für Sabine Köhler, die seit 2001 im Exil Wohnmagazin arbeitet. Die gelernte Tischlerin und Einrichtungsfachberaterin hat bis zum Vordiplom Psychologie studiert und leitet heute die Bettenabteilung im dritten Stock des Möbelfachgeschäfts in der Köpenicker Straße.
Möbel und Einrichtungen sind ihre Passion, in ihrer Freizeit berät sie gerne Freunde und Bekannte, wie sie ihr Zuhause schöner, besser, funktionaler gestalten können. Ihre eigene Wohnung wurde schon des Öfteren in Wohn- und Fachmagazinen vorgestellt.
„Unsere Zielgruppe im Exil sind Menschen, die sich individuell einrichten möchten“, sagt sie. „Häufig kommen zum Beispiel Paare, deren Kinder gerade ausgezogen sind und die sich in ihrem Zuhause einen sichtbaren Neuanfang wünschen. Oder Leute, die aus Ikea herausgewachsen sind und ihre Möbel nicht mehr nach Katalogvorgaben zusammenstellen möchten.“
Wenn man Bourdieus sozialwissenschaftliches Standardwerk „Die feinen Unterschiede“ zu Hilfe nimmt, entspricht das Warenangebot im Exil – Retro, Industriestil, schlichte Skandinavistik, puristisches Design – dem Einrichtungsgeschmack von zum Beispiel Berliner Künstlern und Intellektuellen. Die Besserverdienenden unter ihnen finden im Exil eine ebenso große Auswahl wie Kunden mit nicht ganz so prall gefüllten Bankkonten. Auf den Ausstellungsnachttischen liegen echte Bücher, die Titel scheinen so sorgfältig ausgewählt wie die Dekoblumen und die Bettwäsche – den romantischen Landhausstil dagegen sucht man im Exil vergeblich.
„Die Mehrzahl unserer Kunden sind normale Angestellte oder Studenten, wir haben aber auch prominente Kunden, Politiker, Journalisten, Schauspieler, die man halt so aus den Medien kennt.“ Niemals würde Sabine Köhler jedoch Kunden, die sie erkennt, mit Namen ansprechen. Genau wie bei allen anderen wendet sie bei Prominenten die „indirekte Methode“ an, beginnt mit ihnen Gespräche über Farben, ästhetische Vorlieben, macht Vorschläge für bessere Raumgestaltung.
Sabine Köhler fällt dabei immer wieder auf, wie schnell man als Verkäuferin etwas über den Charakter von Paarbeziehungen mitbekommt. „Das ist nicht immer einfach, da nehme ich schon mal die Rolle der Vermittlerin an.“ Dieses fachkundige und feinfühlige Jonglieren hat ihr schon manches Kompliment beschert, einmal kam sogar ein Blumenstrauß mit einer Karte für „Die gewinnendste Möbel-Propagandistin Berlins“.
Schlafgewohnheiten, Bettenkonstruktionen und Matratzenhärtegrade sind – man merkt es oft auf Reisen – kulturell geprägt. Vielleicht ist es typisch, dass die Mehrheit der deutschen Kunden von Sabine Köhler im Verkaufsgespräch zunächst meint, am liebsten auf harten Matratzen zu schlafen. „Wenn ich eine Kundin habe, die etwas kurviger und zudem Seitenschläferin ist, dann rate ich ihr eher zu einer punktelastischen Matratze, die sich ihrem Körper optimal anpasst und ihre Taille perfekt abstützt.“ Genau in diesem sensiblen Bereich sieht Sabine Köhler den entscheidenden Nachteil, wenn man sich Matratzen online kauft – mal ganz abgesehen davon, dass sie es für ein hygienisches Unding hält, dass man selbige nach dem Probeliegen zu Hause wieder zurück an die Discounter schicken kann. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele meiner Kunden ein Aha-Erlebnis haben, wenn sie merken, wie angenehm sich eine anpassungsfähige Matratze anfühlt.“
Nun ist Sabine Köhler keine Matratzenverkäuferin, sondern Einrichtungsfachberaterin, die in ihrem Beruf ein ausgeprägtes Radar für sich wandelnde Designtrends und Lifestyleveränderungen braucht.
Dass sie dieses besitzt und ebenso standortsensibel wie situativ einsetzen kann, bewies sie in dem Kreuzberger Geschäft zum Beispiel mal bei einer Weihnachtsfeier. Als es viele ihrer Kollegen nicht mehr nach Hause schafften, lud Sabine Köhler sie zu einem Probeliegen in ihre Bettenabteilung ein, das dann bis zum nächsten Morgen dauerte.
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