Afghanistan-Romane statt Fakten

In Österreich sind Asylbewerber auf Grundlage eines dubiosen Gutachten abgeschoben worden

Aus Wien Ralf Leonhard

Abschiebungen nach Afghanistan können tödlich enden. Das weiß man in Deutschland spätestens seit Farhad Rasuli im Mai 2017 bei einem Angriff der Taliban getötet wurde – keine drei Monate nach seiner Deportation. Den österreichischen Sachverständigen Karl Mahringer, der von 2009 bis 2014 als Unternehmer und Regierungsberater in Afghanistan gelebt hat, stört das nicht. Er betrachtet das Land am Hindukusch unbeirrt als sicher.

Schon Anfang 2017 hatte der heute 66-Jährige ein Gutachten für das Bundesverwaltungsgericht erstellt, die letzte Instanz in Asylverfahren. Auf dieses hat das Gericht immer wieder Bezug genommen – meist zum Nachteil des Asylwerbers, dem Gefahr für Leib und Leben nicht abgenommen wurde. In vielen Bescheiden findet sich Mahringers Behauptung, dass es einem kräftigen jungen Mann zugemutet werden könne, in Afghanistan neu anzufangen. Mahringer war der einzige Gerichtssachverständige seit 2016, der von der Fachgruppe Afghanistan des Gerichts konsultiert wurde.

In einem Interview mit der Tageszeitung Kurier legte Mahringer nach: Seiner Ansicht nach seien „70 Prozent der Leute, die aus Afghanistan nach Österreich kommen, Wirtschaftsflüchtlinge“. Vergangenen Mai wurde Mahringer nach Beschwerden von NGOs von der Sachverständigen-Liste des Gerichts gestrichen. Amnesty International, die evangelische Diakonie sowie die beiden Parteien Neos und SPÖ fordern jetzt die Überprüfung sämtlicher Abschiebungen, die auf der Expertise des studierten Orientalisten beruhen. „Hier geht es immerhin um Menschenleben“, sagt die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Doris Margreiter.

Justizminister Clemens Jabloner konnte auf Nachfrage nicht angeben, wie viele Menschen betroffen sind. Wegen des mit der Nachforschung „offenkundig verbundenen unvertretbar hohen Aufwands“ lehnte er das Ansinnen aber ab. Der Standard berichtete am Donnerstag vom IT-Experten Wolfgang Salm, der für die NGO Fairness Asyl mit einem selbst erstellten Tool die relevanten Akten gescreent hat. Er kommt auf 444 negative Asylerkenntnisse des Gerichts mit Mahringer-Bezug.

Für sein berüchtigtes Gutachten will der Unternehmer im Januar und Februar 2017 600 Afghanen in Kabul, Mazar-e Scharif und Herat befragt haben. Allerdings sind diese Gespräche nicht dokumentiert, wie es eine wissenschaftliche Arbeit erfordern würde. Auf seiner viereinhalbseitigen Literaturliste finden sich Romane, Reiseführer, Museumskataloge und sogar Thriller.