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Manchmal ist es einfach nötig, den Nazi zu spielen

Das Impro-Festival Fliegende Funken gibt sich in seiner diesjährigen Ausgabe erstmals einen ausdrücklich politischen Schwerpunkt. Mit dabei sind auch internationale Stars wie der gerade von Netflix verpflichtete Astronomy Club aus den USA

Keine Lust mehr auf sterile Comedy: Inbal Lori aus Israel Foto: Merav Maroody

Von Jan-Paul Koopmann

Freies Improvisieren aufs spontan zugerufene Stichwort ist schwierig, wenn man das Wort nicht kennt. In diesem Fall „Delmenhorst“. Inbal Lori macht es trotzdem. Eine Stadt? Okay. Was es da gibt? „Nazis“, ruft einer aus dem Publikum – und damit kann die Israelin etwas anfangen: „Oh! Gut!“ So beginnt ein Feuerwerk auf Loris gerade zugeloste Mitspielerin: „Ich sag dich, Greta, Hitler war nicht so schlimm!“ Dass sie Streit sucht, hat Improlehrerin Lori schon vorab versprochen. Sie wolle Feindkontakt statt klinischer Sterilität und Angst vor erhitzten Gemütern.

Für die diesjährige Ausgabe des Improfestivals Fliegende Funken ist das ein Geschenk. Lange vor Start hatte man verkündet, in diesem Jahr politischer zu werden, ausdrücklich auch marginalisierte Perspektiven zum Sprechen zu bringen. Wirklich überraschend kommt dieser Ansatz 2019 freilich nicht. Der gesellschaftliche Rechtsdruck macht es nötig, und wo sie gut ist, reagiert die Kunst erbittert. Auch das Bremer Theater und die Schwankhalle haben diverse Produktionen im Anschlag, um alt-neuen Rassimen, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit auf den Pelz zu rücken. Nur ist die Sache beim Improtheater ungleich schwieriger.

Das liegt zum einen an der Kunstform selbst. Achtsame Sprache, gerechte Repräsentation und Antidiskriminierung sind Reflexionsarbeit auch gegen eigene Denkmuster. Die innerlinke Auseinandersetzung mit dem auch szeneeigenen Antisemitismus hat das jahrelang vorgemacht und gegen härteste Widerstände ausgefochten. Antikolonianistische Aktivist*innen fügen auch dem durchschnittsdeutschen Bürgertum regelmäßig vor Augen, wie tief die einstudierten Vorurteile sitzen – ganz zu schweigen von der verblödeten Debatte ums Gendersternchen, gegen das die Troll*innen in den Internetkommentarspalten Sturm laufen. Kurzum: Es ist eine harte Arbeit an sich selbst, bis hin zum alltäglichen Sprachgebrauch.

Improtheater versucht nun formal das genaue Gegenteil: schnelles Reagieren, sich ohne Hemmung einlassen auf die Impulse des Gegenübers und die Geschichte erkennen, die er oder sie gerade im Kopf hat. Ohne Rückgriff auf Stereotype geht das nicht. Wer die eingeübten Erzählungen und narrativen Codes nicht erkennt und sie auch selbst performt, bringt es auf der Bühne nicht weit.

Umso ehrenhafter ist der Versuch der Fliegende-Funken-Macher*innen. Und funktionieren tut es vielleicht auch gerade, weil sie es wirklich als einen Versuch verkaufen: Neben den Publikumsshows bietet das Festival in diversen Workshops und Austauschformaten an, diese Probleme in der Praxis zu durchdringen. Hier macht sich bemerkbar, dass man in der Szene ohnehin viel vom gegenseitigen Lernen hält, statt ständig die eigene Genialität zu behaupten.

Umgekehrt dürfte diese Bescheidenheit auch nicht ganz unschuldig daran sein, dass die Anerkennung von Impro als Kunst nach wie vor eher schleppend verläuft: reiner Theatersport sagen manche, schlichte Comedy die anderen. Sei’s drum. Die Szene hat sich in den vergangen Jahren dann eben selbst professionalisiert und sich jenseits des Theaterbetriebs international vernetzt.

Ein Miteinander, das dem Festival zum Abschluss am Samstag noch ein echtes Highlight beschert. Da ist der Astronomy Club aus New York zu Gast, der als rein schwarze Improgruppe über den US-Sender Comedy Central bekannt geworden ist und ab Dezember mit einer eigenen Show auch auf Netflix zu sehen sein wird.

Eine Anleitung für politisch korrektes Improtheater kann und wird es nicht geben. Aber es ist bereits ein Gewinn, nicht wieder nur weiße Männer auf der Bühne zu sehen

Ein Vorgeschmack war bereits am Eröffnungsabend zu sehen. Bei ihrer spontan nachgestellten Oprah-Winfrey-Talkshow mit deutschen Improvisateur*innen konnte man förmlich zusehen, wie gerade die Übererfüllung schwarzer Klischees die Hemmungen ausgeräumt hat – und die Hindernisse beseitigt hat. Bis hin zur Sprachbarriere: Improvisiert wird bei Fliegende Funken in den meisten Shows auf Englisch.

Und Inbal Lori hat mit der Konfrontation von Stereotypen erst recht kein Problem: Ihre Show sei eben ausdrücklich kein Einschlagen auf die Opfer, sondern stelle im Gegenteil die Täter bloß. „Play the Nazi!“, sagt sie. Nur keine Selbstzensur aus Angst, den falschen Ton zu treffen.

Eine Anleitung für politisch korrektes Improtheater kann und wird es nicht geben. Was beim diesjährigen Fliegende Funken aber klar zum Vorschein kommt: wie fruchtbar bewusste Arbeit an den Rahmenbedingungen sein kann – dass es schon für die Unterhaltung ein enormer Gewinn ist, nicht nur weiße Männer auf der Bühne zu sehen. Und dass diskursive Formate und Workshops auch Comedy nicht weniger lustig, sondern einfach besser machen. Und dann ist am Ende auch ganz egal, ob man das nun Sprechsport oder Kunst nennt.

Abschluss mit Astronomy Club: Sa., 7. 9., 20 Uhr, Lagerhaus

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