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„Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik“

Über 30 Miliarden Euro, 4.000 Seiten Papier: Franziska Becker (SPD), die neue Vorsitzende des Haushaltsausschusses, über die aktuellen Beratungen für den Haushalt 2020/2021

Das Abgeordnetenhaus soll den Doppelhaushalt 2020/2021 im Dezember beschließen Foto: Annette Riedl/dpa

taz: Frau Becker, Ihr Vorgänger hat von sich gesagt, er sei in Mathe ein kompletter Versager gewesen, habe aber Prozentrechnung gut gekonnt. Gehen Sie mit ähnlichen Vorkenntnissen in Ihre ersten Haushaltsberatungen als Chefin des Hauptausschusses?

Franziska Becker: Auf jeden Fall. Ich habe eine einschlägige Ausbildung, bin gelernte Versicherungskaufrau und habe ein Diplom in Betriebswirtschaft, ich habe 13 Jahre im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gearbeitet, und ich war Geschäftsführerin – also von Ausbildung und Berufsweg her hatte ich meist mit Zahlen und wirtschaftlichem Denken zu tun.

Wirtschaftliches Denken ist das eine, aber die Arbeit im Haupt- oder Haushaltsausschusses eines Parlaments erfordert ja auch viel politisches Denken – widerspricht das manchmal der rein mathematischen, auf Zahlen fokussierten Herangehensweise?

Klar, man muss sich das alles über die reinen Zahlen hi­naus konkret vor Augen führen. Man muss sich fragen: Wofür stehen die Zahlen, was bedeuten sie?, und dann überlegen, worin das politische Interesse der eigenen Partei liegt. Oder wie es mein früherer Hauptausschusskollege Charly Nolte einmal formulierte: „Haushalt ist in Zahlen gegossenen Politik.“ Genau so ist es.

Sie sitzen dem Ausschuss seit November vor, weil ebendieser Vorgänger, der angebliche Matheversager, der sehr wohl gut rechnen kann, Staatssekretär wurde – und nun stehen Sie vor einem Haushaltsentwurf, der erstmals in der Berliner Geschichte über 30 Milliarden Euro pro Jahr schwer ist. Wird Ihnen da nicht ein bisschen blümerant?

Blümerant vielleicht nicht – doch das ist schon wirklich eine Riesenzahl. Ich freue mich wirklich sehr auf die Haushaltsberatungen, gerade weil ich die zum ersten Mal als Vorsitzende des Hauptausschusses miterlebe. Die werden uns nun dreieinhalb Monate beschäftigen, am 12. Dezember soll das Parlament den Haushalt für die nächsten beiden Jahre beschließen. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich diesem Ausschuss vorsitzen und ihn leiten darf. Für mich ist das eine große Sache. Manchmal habe ich einen Bauchschießer, wenn ich an die nächste Woche denke.

Sie tagen im Hauptausschuss in diesen Wochen und Monaten oft lange in den Abend hinein. Dafür gibt es aber keinen Euro mehr an Diäten als für Abgeordnete, die, sagen wir es mal so, die Arbeit nicht unbedingt erfunden haben. Ärgert Sie das?

Nein, das ärgert mich nicht, darüber denke ich auch nicht nach – dafür verschwende ich keine Energie. Es steht mir nicht zu, mich über Kollegen und Kolleginnen despektierlich zu äußern. Ich konzentriere mich darauf, dass ich meine Arbeit mache und dass die Abläufe reibungslos funktionieren. Ich habe mir das ja auch selbst ausgesucht und mache das frei­willig.

Wenn schon nicht des Geldes wegen, warum tun Sie sich den ganzen Stress an? Was ist Ihre Motivation?

Auch wenn das Berliner Abgeordnetenhaus ein Teilzeitparlament ist, bin ich nach fast acht Jahren als Abgeordnete zu einer leidenschaftlichen Berufspolitikerin herangereift, die ihren Job liebt und mit Haut und Haaren erledigt.

Der reinen Lehre nach kontrolliert das Parlament die Regierung und vor allem das viele Geld, das diese ausgeben will. In der Praxis sitzen Sie im Ausschuss mit 28 anderen Abgeordneten vor rund 4.000 Seiten Papier, an denen zuvor Hunderte Mitarbeiter von Senatsverwaltungen gearbeitet haben. Ist der Kontrollanspruch bei diesem Missverhältnis noch einzuhalten?

Unser Kontrollanspruch ist hoch, und wir geben unser Bestes. Das ist nicht immer einfach. Wir Haushälter in meiner Fraktion gehen arbeitsteilig vor, indem wir die Einzelpläne der Senatsverwaltungen untereinander aufgeteilt haben und eng mit unseren Fraktionsassistenten zusammenarbeiten. Wir sind ein über Jahre eingespieltes Team und bekommen das gut hin. Gelegentlich ziehen wir weitere Fachleute zurate.

Wie viel wird sich durch Ihre Beratungen eigentlich absehbar an den geplanten Ausgaben von rund 31 Milliarden Euro im nächsten Jahr und 32 Milliarden im Jahr 2021 ändern?

Nur ein ganz kleiner Prozentsatz. Wir als rot-rot-grüne Koalition sehen zu, dass wir ein paar Hundert Millionen für eigene Projekte und Schwerpunkte ­verteilen können, aber im Vergleich zur Gesamtsumme ist das natürlich relativ wenig. Es ist aber auch nicht Sinn der Sache, dass wir anfangen, einen eigenen Haushalt aufzustellen: Unsere Aufgabe ist die Kontrolle, und wenn etwas gut ist, müssen wir das ja dann nicht umschreiben.

Gibt es Momente, wo die Trennlinie wirklich zwischen Parlament und Senat verläuft und Abgeordnete über Fraktionsgrenzen hinweg zusammenstehen? Oder ist das ein dauerndes Gegenüber von Koalition und Opposition?

Nein, natürlich nicht. Es gibt da schon ein paar Schnittmengen, gemeinsame Interessen, und da gibt es da auch schon mal einstimmige Abstimmungen.

Zum Beispiel?

Da habe ich gerade keines parat. Oder doch: Vermögensgeschäfte oder die Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei der Feuerwehr um 4 Stunden auf 44 Stunden.

Wie schalten Sie abends ab nach manchmal zehn Stunden voller Zahlen?

Manchmal brauche ich ein kleines Glas Whiskey, manchmal geh ich mit dem Hund spazieren, manchmal gehe ich zu Konzerten, treffe Freunde oder gehe zum Fußball.

Foto: Abgeordnetenhaus

Franziska Becker, 51, in Berlin geboren, studierte an der Freien Universität BWL. 1993 wurde sie SPD-Mitglied, seit 2011 ist sie Mitglied des Abgeordnetenhauses mit Wahlkreis in Wilmersdorf. Im vergangenen November löste sie ihren Vorgänger Fréderic Verrycken an der Spitze des wichtigsten und größten Parlamentsausschusses ab. Seitdem leitet sie den Haus­halts­ausschuss.

Dieser Ausschuss mit 29 Frauen und Männern ist auch eine Ansammlung ziemlich starker Egos.

Ja, das ist so.

Was ist Ihr Rezept, sich da durchzusetzen und die Diskussionen auf einer sachlichen Ebene zu halten?

Erst mal haben wir ja Verfahrensregeln, damit es diszipliniert zugeht, und dann kann ich auch meine Stimme einsetzen. Es ist auch Erfahrungssache, eine große Gruppe zu moderieren, und ich bin ja schon länger in der Politik. So schwierig ist das nicht. Ich hatte neulich unseren Innensenator Andreas Geisel zu einer Veranstaltung in meinem Wahlkreisbüro, da waren 70 Leute – das war schwieriger, dagegen ist der Hauptausschuss harmlos.

Ihre Partei ist die SPD, und während Sie an den Milliarden herumbasteln, ringt diese Partei um Überleben und Zukunft. Können Sie da den Kopf überhaupt richtig frei haben für den Haushalt?

Das muss ich, das will ich, es ist mein Beruf. Ich bin ja Teil dieses Systems SPD, ich habe mir das so ausgesucht und bin hoch motiviert und ehrgeizig, in den nächsten Monaten bis zum Haushaltsbeschluss mit meinen SPD-Kollegen einen sehr guten Job zu machen. Wir sind auf ­gutem Weg, wieder zu einem funktionierenden Team zusammenzuwachsen, in dem man sich aufeinander verlassen kann und alle füreinander da sind. Wie heißt es doch: Das Ganze ist die Summe vieler Teile. Wir sind ein Teil vom Ganzen, und wenn da jeder seinen Job gut macht, dann ist das letztlich auch für die SPD gut. Dass uns das gelingen wird, davon bin ich fest überzeugt!

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