bücher für randgruppen
: Elfen zu Engeln

Zur Feier der tausendjährigen Christianisierung wurde in Island im Jahr 2000 eine eigene Straße gebaut. Die protestantische Staatskirche rechnete mit mindestens 80.000 Besuchern. Sie konnte dem Staat glaubhaft machen, dass jeder dritte Insulaner in die Schlucht fahren würde, in der einst der Oberheide seinen Landleuten den Glaubenswechsel empfahl, um den angedrohten Wirtschaftsboykott zu vermeiden.

Doch die staatlich finanzierte Straße blieb leer. Hin und wieder zuckelte ein halbleerer Bus die Piste entlang. Tatsächlich kamen am ersten Tag 3.000 Besucher und am zweiten noch mal 7.000, meist Familien, deren Kinder drängelten, die Spielgeräte und die dort angebotene im Land sehr seltene Zuckerwatte auszuprobieren.

Ein Blick in die Annalen der Kirche wenige Jahre später lässt allerdings den Eindruck entstehen, hier hätte eine Massenbewegung ein historisches Ereignis zelebriert. Ein ähnlicher Eindruck wurde auch anlässlich des Todes von Papst Johannes Paul II. erzeugt, wo staatliche Fernsehbilder stundenlang den aufgebahrten Leichnam zeigten – live, so als ob eine Auferstehung zu erwarten wäre. Anschließend zeigten die Kameras viele fröhliche Jugendliche, die backpackermäßig Rom besuchten.

Sogleich orakelten ergriffene Kommentatoren, hier deute sich eine neue Frömmigkeitsbewegung an, die Besitz von der Jugend ergriffen habe. So als ob nicht viele Jugendliche einfach nur große Lust gehabt hätten, die Gelegenheit eines kirchlich organisierten preiswerten Trips nach Italien zu nutzen – ob nun schwer gläubig, wenig gläubig oder gar nicht. Fazit: ob das Haus nun voll ist oder leer.

Die Werbemaschine der Kirche und ihrer Verbündeten läuft wie geschmiert. Im soeben erschienen Buch „Jesus wäscht weißer“ durchleuchtet Bruno Ballardini die Strukturen und Rituale der Kirche von der Antike bis heute im Lichte der Werbung. Sehr anschaulich und amüsant erläutert der Medienphilosoph, warum gerade die schlimmsten Langweiler, die ödesten Zeitgenossen oder talentfreiesten Musiker in der Gegenwart die größten Erfolge feiern.

Es ist das Marketing, das hier seine Früchte zeigt. Und dieses Marketing erweist sich als hochreligiöse, uralte Angelegenheit: Public Relations – alles von der Kirche längst erfunden. Dazu gehört hier die Erzeugung des Schuldgefühls bei den potenziellen Kunden genauso wie die Etablierung eines ziemlich geschmacklosen Trademark, nämlich des millionenfach reproduzierten Kreuzes. Ballardini fragt arglos: Wie hätte das Objekt wohl ausgesehen, wäre Jesus gehängt oder geköpft worden?

Die Kirche als multinationales Unternehmen, als Marke – doch hinter diesen Überlegungen lauert keine Verschwörungstheorie, im Gegenteil. Hier wird sinnesfroh erläutert, warum Gott ähnlich wie Coca-Cola ist und wie die Limo nicht in Frage gestellt werden kann. Warum die Menschen glücklich sind, die Luft der Luftschokolade zu bezahlen, und warum der Petersdom das größte Meisterwerk des Kitsches ist. Wie schafft es ein Marketing, die Menschen davon zu überzeugen, den Leib Jesus zu essen und sein Blut zu trinken?

Der Philosoph stellt fest, dass es dem Katholizismus gelungen sei, die Vulgarität auszumerzen – weil niemand mehr in der Lage sei, sie als solche wahrzunehmen. Und während das Jingle „Halleluja“ ertönt, vermutlich neu gecovert von Xavier Naidoo, fällt mir plötzlich ein Bild im Schaufenster des Kirchenshops von Reykjavík ein. Dort leitet seit nunmehr zehn Jahren ein Schutzengel zwei Kinder über eine morsche Brücke – vermutlich so lange, bis jeder Tourist und jeder Einheimische den Engel für eine christianisierte Elfe hält. Denn auch Ausdauer und große Beharrlichkeit zählen zu den Erfolgsrezepten eines alles sich einverleibenden Multikonzerns. WOLFGANG MÜLLER

Bruno Ballardini: „Jesus wäscht weißer. Wie die Kirche das Marketing erfand“. Aus dem Italienischen von Christine Mangold. Tropen Verlag, Berlin 2005, 192 Seiten, 12,80 Euro