: Aufrecht gehn
Frauen wollen auch in der katholischen Kirche nicht mehr nur Dienerinnen sein. Wütende Proteste aus dem Vatikan zeigen uns: Der Weg ist dornig. Aber er ist unumkehrbar
VON WALTRAUD SCHWAB
Die katholische Frau hierzulande kann alles sein und wenig werden. Sie kann am Paradies zweifeln oder an das Fegefeuer glauben. Sie kann sich mit Juwelen behängen und von Sozialhilfe leben. Sie kann das Leben für ein großes Geschenk halten oder mit ihrem Schicksal hadern. Sie kann abstinent oder polygam sein, heterosexuell oder auch nicht. Sie kann mager- oder fettsüchtig, tablettenabhängig oder dem Alkohol zugetan sein; sie kann zu viel lieben oder zu wenig; sie kann fast jeden Beruf haben oder keinen. Sie kann schwarz sein oder weiß, sie kann Mutter sein oder Kinder schrecklich finden. Sie kann sich scheiden lassen, sogar verhüten, vielleicht sogar abtreiben, wenngleich sie sich damit versündigt. Sie kann alles sein, sogar Maria oder Magdalena, Heilige oder Hure. Nur mit dem Werden, da hapert es. Denn in ihrer Kirche haben Männer das Sagen.
Im Namen des Vaters fängt alles an. Zusammen mit Gottsohn und Gott Heiliger Geist besetzt er die höheren Sphären. Was die Stellvertreterstrukturen der drei auf Erden angeht, ist das System noch komplexer. Unangefochten an weltlich oberster Stelle steht der Papst. Als Mittler zwischen Gott und den Gläubigen residiert er in einer halbgeistigen Zwischenwelt. Darunter tummeln sich Kardinäle in blutroten Röcken. Erzbischöfe und Bischöfe tragen die Last der Kirche in ihren Bistümern. Unter ihnen dürfen Priester und Kapläne das Seelenheil der Gemeindemitglieder pflegen.
Erst auf der Stufe der Diakone, der geweihten religiösen Dienstleister, kommt das weibliche Geschlecht in der katholischen Hierarchie ins Spiel, wenngleich nur theoretisch und kirchengeschichtlich. Denn es gibt alte Vorbilder: In den Briefen des Paulus wird sowohl die Diakonin Phoebe, deren Existenz verbrieft ist, erwähnt als auch eine Diakonin Junia.
Der Forderung, Diakoninnen zu ordinieren, wollte der letzte Papst kein Gehör schenken. Von Papst Benedikt XVI. wird in dieser Beziehung auch kein Entgegenkommen erwartet. Im Zuge der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums sind Frauen aus dem Priesteramt, das ihnen in vorchristlicher Zeit gar als Privileg zukam, entfernt worden. So ist es geblieben.
Dabei sorgt die Frauenfrage innerhalb der Christengemeinden für Unruhe. Nicht nur Protestanten ordinieren Frauen, im Gegensatz zur römisch-katholischen plädiert auch die alt-katholische Kirche für sie.
Auf den zwei alleruntersten Sprossen der katholischen Kirchenleiter werden Frauen immerhin so wie Männer behandelt. Zum einen dürfen sie als Pastoralreferentinnen, als hauptamtliche Laien, seelsorgerisch tätig sein, und zum anderen dürfen sie Ministrantinnen sein. Als solche tragen sie Messbücher oder schwenken das Weihrauchfass. Sie dürfen hinter dem Priester her- und manchmal auch vor ihm gehen, die Glocken beim Evangelium läuten und einiges mehr tun, was Dienerinnen so zufällt.
Frauen und Männer sind in der Hierarchie der römisch-katholischen Kirche nicht gleichwertig. Vom gesellschaftlichen Verständnis her sind sie es allerdings doch. Dass sie gleich behandelt werden müssten, das wissen die meisten.
Dass sie es wissen, ist eine enorme Leistung, die auf ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft innerhalb der religiösen Gemeinschaften und auf eine Aufgeschlossenheit gegenüber modernen gesellschaftlichen Entwicklungen schließen lässt. Vom „Bist ja doch nur eine Rippe“ zum „Jede soll nach ihrer Fasson selig werden“, beides Erfahrungen aus persönlicher Quelle, ist es ein weiter Weg, der in nur dreißig Jahren gegangen wurde.
Heute treten Katholikinnen den Männern gegenüber selbstbewusst auf. Symbolisch gesprochen: Selbst in der Kirche des verstecktesten Dorfes, in dem Neues nur mit langer Verzögerung ankommt, suchen sie sich die Seite aus, auf der sie sitzen wollen. Früher war die rechte Seite den Männern vorbehalten. Rechts weist auf richtig und Recht hin. Und links? Auf der Herzseite saßen die Frauen. Ihre Herzensrolle: jene des Mitfühlens, des Dienens, des Pflegens.
Noch immer ist das Bild der katholischen Frau stark mit einer aufopfernden Fürsorgehaltung verknüpft. Aber Seelsorgerinnen und Helfende in katholischen Altersheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen oder Nonnen, die sich für Aidskranke und Sterbende einsetzen, ehrenamtliche Gemeindemitglieder, die sich als Fundraiserinnen für die Mission engagieren, sowie die konservativen Gralshüterinnen, die texttreu zu allem, was von oben kommt, ja sagen, sind nur ein Ausschnitt. Innerhalb der katholischen Gemeinde gibt es auch die Rebellinnen, die sich eloquent für die Gleichberechtigung der Frau einsetzen.
Wer heute nach scharfsinnigen Lobbyisten für die Rechte der Frau sucht, mag überrascht sein, auf welch aufmüpfige Stimmen er unter Katholikinnen treffen kann. Denn im Gegensatz zur nicht religiös geprägten Frauenbewegung, die im Mainstream aufgeht, seit deren Forderungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Verständnis finden, ist den katholischen Frauen der Gegner im eigenen Hause nicht abhanden gekommen.
Dass Katholikinnen heute alles sein können, dies verdanken sie den gesellschaftsverändernden Entwicklungen, die durch Aufbrüche, wie sie die Frauenbewegung bewirkt hat, möglich wurden. Weil sie in der Kirchenhierarchie jedoch nichts werden können, haben sie die analytische Schärfe für den Ausschluss der Frauen ausprägen können. Dies nutzen sie nun nicht nur für genuin kirchliche Themen. Sie machen Lobbyarbeit gegen Menschenhandel und gegen die Verschlechterungen, die Hartz IV vor allem für Frauen bedeutet. Sie werben für die katholische Europäerin und fordern frauengerechte Gesundheits- und Altersvorsorge. Gegenüber Gen- und Reproduktionstechnik hegen sie ethische und umweltbedingte Zweifel.
Heute kommen den Aktivistinnen der Kirche, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, zudem ihre eigenen Prämissen zugute: Die starke familiäre Verortung, die mit der katholischen Lehre einhergeht, gibt ihnen ökonomisch und sozial vielfach einen gesicherten Rahmen auch in Zeiten des Sozialabbaus.
Im Gegensatz dazu wurde die feministische Bewegung mehrheitlich von Frauen getragen, die das klassische, gesetzlich begünstigte Familienmodell infrage stellten. Dass die autonome Frauenbewegung heute schwach ist, hat vielfach auch ökonomische Gründe. Unabgesichert durch klassische Familienstrukturen, die dem Mann noch immer in stärkerem Maße die Rolle des Verdieners zubilligen, müssen diese Aktivistinnen nun aufgrund der schwierigeren wirtschaftlichen Situation in Deutschland meist mehr Zeit als früher aufwenden, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
Die gesellschaftliche Emanzipation der Frau auf der einen Seite und die Unbeweglichkeit der katholischen Kirche auf der anderen gibt frauenbezogenen Argumentationen der Katholikinnen heute mitunter eine Klarheit, die sich Feministinnen aus weltlichen Zusammenhängen abgeschminkt haben. In den Stellungnahmen der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands zum letztjährigen vatikanischen „Schreiben an die Bischöfe über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und der Welt“ wird dies deutlich. Darin zerpflücken sie die Vorstellungen des Vatikans in beispielloser solidarischer Schwesterlichkeit. Sie schrieben: „In unterschiedlichen Ansätzen suchten Frauen und Frauenorganisationen von jeher Gleichberechtigung für Frauen und Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen im Zugang zu Bildung, Erwerbsarbeit und anderen Gütern der Menschheit zu erreichen.“
Sie führen weiter aus, dass die berechtigten Anliegen von Frauen und die Ergebnisse der weltweiten Frauenbewegungen im Text des Vatikans nicht anerkannt würden. So behauptet das Papier des Vatikans, in den letzten Jahren sei die Unterordnung der Frau bewusst unterstrichen worden, um so Protest dagegen hervorzurufen.
Der Protest wiederum werde von Frauen instrumentalisiert, um selbst nach Macht zu streben, was ihrer natürlichen Bestimmung zuwiderliefe. Wer die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nivelliere, argumentiert der Vatikan weiter, inspiriere Ideologien, die die Familie in Frage stellten, Homosexualität und neue Modelle polymorpher Sexualität förderten.
Solch undifferenzierte Argumentation lassen sich die Katholikinnen nicht mehr bieten. Sie schreiben: „In holzschnittartiger Vereinfachung werden Feindbilder an den Anfang [des Textes; W.S.] gestellt, um dann die weltweite Frauenbewegung ablehnen zu können. Diese Missachtung von Frauen und von Anliegen der Frauenbewegung verletzt Frauen, da ihnen unterstellt wird, sie würden in verurteilenswerter Weise nach Macht streben.“
In Zeiten wie den heutigen, in denen die Frauenbewegung hierzulande vielfach diskreditiert wird, stehen Katholikinnen endlich zu ihr. Damit aber stehen sie auch zu sich selbst.
WALTRAUD SCHWAB, Berlin-Reporterin der taz, ist in den Achtzigerjahren aus der katholischen Kirche ausgetreten