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Leise wummern die Techno-Beats

Bei der diesjährigen Fuckparade legte die Polizei großen Wert auf akustische Selbstbegrenzung

Von Jonas Wahmkow

„Nazifrei und Krach dabei“ – unter diesem Motto zog am Samstag die 23. Fuckparade durch Berlin. Der als unkommerzieller und subkultureller Gegenentwurf zur Loveparade entstandene Umzug lockte nicht nur Tausende Hardcore-Techno-Fans auf die Straße, sondern wollte auch ein Zeichen setzen gegen Gentrifizierung und Verdrängung von Freiräumen.

Doch von Krach ist am Samstagnachmittag am Startpunkt an der Werbellinstraße noch nicht viel zu hören. Ungewohnt ruhig stehen die Lautsprecherwagen da, eigentlich hätte die Parade längst beginnen sollen. Aber die Polizei verlangt, dass die Lautstärke technisch auf 90 Dezibel limitiert bleibt. Immer wieder wird gemessen. Nach zwei Stunden Verzögerung geht es endlich los – ohne zwei der acht angemeldeten Wagen, bei denen die Begrenzung nicht möglich ist. „Ich freue mich, dass wir überhaupt hier sind“, sagt Jay, Mitorganisatorin vom Kollektiv Industrie Terror. Angesichts der strengen Auflagen war es im Vorfeld fraglich, ob die Fuckparade überhaupt stattfindet.

Mit nicht mehr ganz so wummernden Bässen setzt sich der Zug in Bewegung. Immer wieder sind „Lauter, lauter“-Sprechchöre zu hören. Trotzdem ist die Stimmung der zeitweise über 5.000 Teilnehmer*innen ausgelassen. Das Publikum ist sehr gemischt: Martialisch gekleidete Speedcore- und Gabba-Heads sind die Minderheit, dafür Clubgänger*innen, Tourist*innen, Punks und viele betrunkene Jugendliche. Vereinzelt sind auch Shirts des bei Rechten beliebten Labels Yakuza zu sehen. Die Fuckparade wurde immer wieder von Nazis frequentiert, die Veranstalter standen in der Kritik, sich nicht ausreichend dagegen zu positionieren – daher das Statement im Veranstaltungsmotto.

Die Route orientiert sich an bedrohten linken Orten. Unweit des Startpunkts liegt die besetzte Kiezkneipe Syndikat, weiter geht es vorbei am vor zwei Jahren geräumten Kiezladen Friedel54 durch Kreuzberg und Friedrichshain. Der Endpunkt ist an der Kynaststraße nahe der Rummelsburger Bucht, wo bald ein weiterer Bezugspunkt der Feierkultur teuren Wohnungen und einem Aquarium weichen soll.

Hier wird noch Gabba gespielt

Wie viele Raver*innen tatsächlich einen politischen Anspruch haben, ist fraglich. „Das Motto find ich gut“, sagt Max, „aber hauptsächlich bin ich wegen der Musik hier.“ Das liege auch daran, dass die auf der Fuckparade gespielten härteren Varianten des Techno wie Gabba, Speed- und Hardcore nur noch selten in den Clubs laufen, so der 23-Jährige.

Reibungslos verläuft der Umzug nicht: Der Industrie-Terror-Wagen muss kurz nach Start wegen technischer Probleme aufgeben, ein anderer wird am Görli wegen Überschreitung der Lautstärke von der Polizei gestoppt. Laut Polizei gibt es 22 Festnahmen und 10 Anzeigen, einige wegen Körperverletzung und Diebstahl.

Als die Veranstaltung nach einem letzten Strobo- und Bassgewitter um 22 Uhr endet, sind dennoch viele glückliche Gesichter zu sehen. Ob es die Fuckparade im nächsten Jahr so wieder gibt, ist allerdings offen.

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