hörbuch: Wie charmant es ist, den Hochglanz wegzulassen
Plumpsklo, eiskaltes Brunnenwasser statt Wellnessdusche, Küchenarbeit und Stall ausmisten. Internet gibt es keins, Handy-Empfang sowieso nicht. Die Radtour zur nächsten Eisdiele dauert eine halbe Stunde. Was sollen das denn für Ferien werden? Ziemlich gute, aber manchmal weiß man so was ja erst hinterher.
Der Münchner Tom und sein Spezl, das Nordlicht Frederik, freuen sich zwar auf die bevorstehenden Sommerferien, aber ihre Eltern weigern sich, den 16-Jährigen Surfcamps in Portugal oder sonstige High-End-Reisen zu finanzieren. Also Fahrradtour. Der Haken: Weil die Eltern auf Dienstfahrt gehen müssen, soll Tom auf seine zwei Jahre jüngere Schwester Franzi aufpassen, kann also nicht einfach weg. Oder doch? Die pragmatischen Jungs beschließen, die kleine Schwester samt Freundin Lisa und deren Bruder Stoffl, einen begnadeten Stand-up-Versschmied, einfach mitzunehmen. Ziel soll die Kastelburg sein, die eine Tagestour entfernt liegt und auf der die Großtante von Tom und Franzi mit striktem Regiment den Haushalt führt. Gegen ein wenig Mithilfe steht den fünf Ausflüglern freie Kost und Logis in Aussicht. Als die Kids nach strapaziöser Anfahrt bei Ankunft herausfinden, was genau das bedeutet, ist es für sie erst einmal ein schwerer Schock, den Stoffel auf den Punkt bringt: „Schuften wollte hier kein Schwein, Urlaub sollte das doch sein.“
Johann Barsy und Gudrun Opladen haben mit „Kastelburg-G’schichten: Ferien mit Graus & Schmaus“ eine Ode an die Ferien alter Schule verfasst. Und eine Ode an die kulinarische Freude. Barsy ist Koch und Wirt im Forsthaus Kasten, zwischen München und dem Starnberger See gelegen, betreibt eine Kochshow auf YouTube und tritt in „Ferien mit Graus & Schmaus“ als Meisterkoch Bamberger in Erscheinung. Als Küchenchef der Kastelburg gibt er den fünf Freunden nicht nur kulinarisch wertvolle Tipps. Nebenbei stellt sich, gerade für jugendliche Hörer*innen, noch die Erkenntnis ein, dass es zum Kochen für leckere Gerichte nicht immer das neueste Equipment braucht – egal, was die Influencer im YouTube-Tutorial behaupten.
Für Sprachwitz-affine Hörer*innen jeden Alters ist das von Moses Wolff brachial-elegant eingelesene Hörbuch ein Genuss. Der Münchner Schauspieler, Komiker und Autor verleiht allen Figuren mittels Dialekt oder stimmlicher Modifikation prägnante Charakterzüge. Während Stoffel seine altklug-humorigen Verse mit verquastem Singsang droppt, näselt seine Schwester Lisa schläfrig, Tom spricht deepes Bayrisch und Frederik zackig mit gekonnt hanseatischem Zungenschlag. Als Frederik sich zur Abfahrt verspätet, stellt Stoffel fest: „Des Bleichg’sicht von d’Waterkant kommt da hinten angerannt!“ Als Grund gibt Frederik ganz nordisch an, dass ein Reifen „plattikowski“ sei.
Passend zum unmodernen Setting – es gibt weder Strom noch fließend warmes Wasser –, verweigert sich die Produktion üblichen Hochglanzstandards. Wolffs Lesung hat charmante Ecken und Kanten und ist mit einer liebevoll arrangierten Geräuschkulisse bestückt. Fahrradklingeln rasseln (selbstverständlich sind es die klassischen, nicht die modernen, die nur Pling machen), nach einem kühl-tröpfelnden Intermezzo in einer Tropfsteinhöhle zwitschern Vögel befreiend, das Gelächter adliger Burgbesucher hört sich genauso an wie beschrieben: erleichtert und verwirrt blasiert zugleich.
Kommentiert wird die Geschichte mit Musik von Bernie Maisberger von der bayrischen Folkrock-Band IRXN und dem Musiker und Produzenten Jens Ohly. Mal mit fröhlichem Uptempo-Erdpop, mal mit etwas anstrengendem Kabarett-Rock Marke Spliff „Radio Show“. Immer verwurzelt in den seligen Achtzigern. Was nichts daran ändert, dass mit „Ferien mit Graus & Schmaus“ die Ferien easy aufs ganze Jahr ausgedehnt werden können. Sylvia Prahl
Johann Barsy, Gudrun Opladen: „Ferien mit Graus und Schmaus. Gelesen von Moses Wolff, 4CDs, ca. 200 min., Gastro Vitalis Verlag, 2019
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen