: Schnecken auf Kurs
Zurück zur Politik: Günter Grass mischt sich wieder in den Wahlkampf und hat eine Riege von politisch bislang nicht sehr engagierten Autoren und Autorinnen um sich geschart
Günter Grass kann es einfach nicht lassen, seine politische Stimme und sein sozialdemokratisch ausgerichtetes Zeigefingerchen zu erheben, und allein für diese Unermüdlichkeit, der auch ein gewisser Starrsinn innewohnt, muss man ihm eigentlich Respekt zollen. Nachdem er schon im Juli mehrmals angekündigt hatte, im unerbittlich näher kommenden Wahlkampf die SPD unterstützen zu wollen, hat er jetzt bei einer Zusammenkunft in Lübeck eine Reihe von prominenten und weniger prominenten Autoren und Autorinnen um sich geschart, die sich öffentlich für das „rot-grüne Projekt“ einsetzen wollen – und zwar explizit für Rot-Grün, nicht nur für Rot gleich sozialdemokratisch. Demnächst wollen Grass und die Seinen mit Veröffentlichungen und Lesungen sowie auf Podien und in Diskussionen „ihre Sicht der Dinge“ darstellen.
Überraschend ist vor allem, wer sich da so alles mit auf den Karren von Grass setzt, und auch, wie sorgfältig dabei die jeweiligen Generationen repräsentiert sind: Jüngere sind dabei, etwa Benjamin Lebert, Eva Menasse, Michael Kumpfmüller, Juli Zeh und Feridun Zaimoglu, wobei letzterer der Sprecher für die Migranten werden dürfte, weniger junge wie Tilman Spengler und Joseph von Westphalen, ältere wie Erich Loest und Peter Rühmkorf. Sieht man von üblichen Verdächtigen ab, sagen wir: Juli Zeh und Feridun Zaimoglu, hatte man einen Großteil der Genannten bislang nicht mit verstärktem politischem Engagement in Verbindung gebracht. So scheint da doch einiges zu gehen, scheint Politikverdrossenheit oder vornehme Zurückhaltung nicht mehr erste Literatenpflicht zu sein, sondern Engagement!
Nun lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, wie sinnvoll es ist, sich ausgerechnet jetzt noch einmal für Rot-Grün einzusetzen: so kurz vor Toresschluss und nach einer traurigen Performance, die vor allem Ausgebranntheit und Amtsmüdigkeit seitens Rot-Grün an den Tag brachte. Ob das nicht auch die letzten sieben Jahre hätte gemacht werden können? Es fragt sich, wo plötzlich das Engagement herkommt? Große Angst vor Schwarz-Gelb? Oder um wirklich gewissenhaft den „Prozess der schmerzhaften Reformen“ weiterverfolgen zu können, wie Grass es in Lübeck sagte, einen Reformprozess, den Schwarz-Gelb bestimmt noch schmerzhafter fortsetzen wird?
Verdächtig in diesem Zusammenhang auch der Grass’sche Hinweis, seit den Zeiten von Willy Brandt sei Künstlern und Intellektuellen nicht mehr so viel Anerkennung und Aufmerksamkeit für ihre Arbeit gezollt worden wie in der jüngsten Vergangenheit – das klingt, als solle da Gegenleistung erbracht werden, als wolle man sich erkenntlich zeigen für die ein oder andere Einladung ins Kanzleramt.
Und es fragt sich nun auch, wie komplex die Kumpfmüllers, Leberts und von Westphalens „ihre Sicht der Dinge“ darlegen wollen, wie unpeinlich und reflektiert sie die an sich nicht gerade zeitgemäße Figur des politisch engagierten Schriftstellers wiederbeleben wollen. So mag es eine Sehnsucht nach der moralischen Instanz von Schriftstellern geben, nach der auch politisch wirksamen Wortmacht von Autoren, nicht zuletzt seitens des Feuilletons, doch kam von Autorenseite oft nicht mehr dabei heraus als die Formulierung diffusen Unbehagens.
Auch um den „intellektuellen Diskurs“ solle es gehen, sagte Grass noch, nicht nur um kurzfristige mediale Aufmerksamkeit, und darum, mit diesem Diskurs den „so beängstigend vielen Schweigenden“ wieder eine Stimme zu geben. Dass die vielen Stummen nicht unbedingt auf die Stimme eines Benjamin Lebert oder einer Eva Menasse was geben und dann doch lieber weiter schweigen steht noch einmal auf einem anderen Blatt.
GERRIT BARTELS