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Ein Beginn mit großen Gesten

In einer beeindruckenden Rede bekannte sich der neue Bürgermeister Andreas Bovenschulte zur Freundschaft Bremens mit Danzig

Von Klaus Wolschner

Am 1. September 1939 war es mein Land, das die Welt in einen Abgrund stürzte. Wir wissen um unsere historische Schuld und wir verneigen uns vor den Opfern. Wir verneigen uns vor Polen.“ So begann Bremens neuer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) seine Rede auf der Gedenkveranstaltung zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Man spürte, dass das für ihn keine Floskeln sind. Über 220 Gäste waren in die Obere Rathaushalle gekommen, dazu – als Ehrengast – der 72-jährige Adam Michnik, polnischer Bürgerrechtler, Publizist und Chefredakteur der liberalen und größten Tageszeitung Polens, Gazeta Wyborcza.

Seit zwei Wochen ist der Verwaltungsjurist und frühere Bürgermeister von Weyhe Andreas Bovenschulte als Präsident des Bremer Senats im Amt. Viele in der Stadt kennen den heute 54-jährigen noch als früheren Juso oder als Strippenzieher in der SPD, deren Landesvorsitzende er bis 2013 war, drei Jahre lang. Wer noch Zweifel gehabt haben sollte, ob er auch Bürgermeister einer Freien Hansestadt kann, der konnte sich nun eines Besseren belehren lassen: Ja, er kann. Der Festsaal des Rathauses war gut gefüllt, als Bovenschulte seine Rede hielt, und insbesondere der Ehrengast war sehr beeindruckt von der Art, wie Bovenschulte sich als Repräsentant der besonderen bremisch-polnischen Beziehungen präsentierte.

Es war kein Zufall, dass die Gedenkveranstaltung am Vorabend des 23. August, also des Jahrestages des „Hitler-Stalin-Paktes“ stattfand, und Adam Michnik unterstrich die polnische Sicht auf dieses für Polen so wichtige Datum: Kurz nach diesem Pakt vor 80 Jahren wurde Polen nicht nur aus dem Westen, sondern auch aus dem Osten angegriffen und musste seine Freiheit „gegen das andere totalitäre Regime“, wie Michnik sich ausdrückte, erkämpfen. Bremen ist für Michnik seit 40 Jahren ein verlässlicher Partner im Ringen um Freiheit und Demokratie – auch in der aktuellen politischen Situation Polens.

Bovenschulte hatte für einen seiner ersten Auftritte in der Öffentlichkeit ganz bewusst den Denkort Bunker Valentin gewählt. Dort war Pawel Machcewicz zum Vortrag geladen, der Gründungsdirektor des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs. Auch das war eine große Geste: Machcewicz war 2017 gefeuert worden, weil er nicht in das nationalistische Polen-Bild der derzeitigen Regierung in Warschau passt. Ausdrücklich erwähnte Bovenschulte auch den im Januar ermordeten Danziger Stadtpräsidenten Pawel Adamowicz und nannte ihn einen „langjährigen Freund und Partner“.

Schon 1976 wurde Bremen zur Partnerstadt von Danzig – ganz in der Tradition von Willy Brandt, wie Bovenschulte erklärte: „Sein Kniefall 1970 in Warschau gibt uns bis heute die politische Orientierung vor.“ Sein Amtsvorgänger Hans Koschnick hatte einst nicht nur diese erste Städtepartnerschaft einer westdeutschen mit einer Stadt in Polen initiiert, er hat auch geholfen, den Widerstand in der SPD gegen die Gründung eines Bremer Samisdat-Instituts zu überwinden. In Bremen ist seitdem eine der wichtigsten Sammlungen von illegaler Literatur der osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen entstanden. Als führende Gewerkschafter der Solidarnosc 1981 beim Besuch an der Weser vom Kriegsrecht überrascht wurden, bekamen sie in Bremen ein Büro eingerichtet.

Wer Zweifel hatte, ob Bovenschulte ein geeigneter Präsident ist, konnte sich nun überzeugen

Bovenschulte stellte sich ganz in diese Tradition. Während der offizielle Staatsakt am 1. September mit den offiziellen Vertretern des heutigen Polens einen Bogen um Danzig macht – „dass es sich dabei um einen Zufall handelt, ist kaum anzunehmen“ sagt Bovenschulte – leistet sich Bremen eine kleine diplomatische Nebenbeziehung zu dem demokratischen Polen, für das Danzig steht. Eine Bremer Delegation fährt am 1. September dorthin – denn, so Bovenschulte, Bremen steht „an der Seite unserer Danziger Freunde“ an diesem wichtigen Gedenktag: „Danzig gehörte unter dem ermordeten Stadtpräsidenten Pawel Adamowicz genau wie heute unter seiner Nachfolgerin Aleksanda Dulkiewicz zu den Orten in Polen, in denen Politik und Gesellschaft zusammenstehen und laut für den Rechtsstaat, demokratische Freiheiten und einen pro-europäischen Kurs des Landes eintreten“, so Bovenschulte. Adam Michnik wiederum wies darauf hin, dass sich in Polen die nationalistische Erinnerungskultur mit sozialpolitischen Verwerfungen verbinde und dass diese Melange besonders gefährlich sei.

Das sei auch hierzulande ein aktuelles Problem, sagte Bovenschulte. Es stelle sich die Frage, mit welcher Sprache man die Menschen, die sich von dieser national-sozialen Melange angesprochen fühlten, erreichen könne. Mehr noch, so Bovenschulte am Ende seine Rede: Auch in Deutschland stelle sich „die bange Frage, wie wir Frieden, Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz in Europa auch künftig sichern können“.

Adam Michnik bedankte sich gleich mehrfach für die bremische Freundschaft. Der herzliche Beifall im Rathaus zeigte, dass die anwesenden Bremer BürgerInnen das verstanden hatten, ja: sich gut repräsentiert fühlten von diesem neuen Bürgermeister, der kaum zwei Wochen im Amt ist. Am Donnerstag wird er dann im Landtag seine erste Regierungserklärung abgeben.

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