: Schiiten fordern eigenen Teilstaat im Irak
Hochrangiger Politiker spricht sich für Vereinigung aller neun Provinzen südlich von Bagdad aus. Dieses Ansinnen stößt nicht nur bei den Sunniten auf Kritik. Damit verschärft sich der Streit drei Tage vor der Verabschiedung des Verfassungsentwurfs
AUS ERBIL INGA ROGG
Drei Tage vor der Deadline für die Verabschiedung des irakischen Verfassungsentwurfs ist der Streit zwischen den verschiedenen Fraktionen eskaliert. Bei einem machtvollen Auftritt in Nadschaf forderte der schiitische Politiker Abdul Aziz Hakim die Gründung eines schiitischen Teilstaats im Irak.
Vertreter der sunnitisch-arabischen Minderheit im Land reagierten darauf erwartungsgemäß mit scharfer Ablehnung. „Wir hatten gehofft, dass es nie so weit kommt“, sagte Salah Mutlak. Im Ringen um die Verfassung ist Mutlak, der in der Verfassungskommission den „Rat für den nationalen Dialog“ vertritt, zu einem der wichtigsten Repräsentanten der sunnitischen Araber aufgestiegen. Ob Sunniten oder Schiiten – die Araber seien ein Volk, sagte Mutlak. „Wir lehnen jeden Versuch ab, den Irak konfessionell zu spalten.“
Sein Kollege Fakhri al-Kaisi ging sogar noch einen Schritt weiter und erklärte die Verhandlungen für gescheitert. „Die Türen sind geschlossen“, sagte al-Kaisi. „Die Kurden bestehen auf ihren Forderungen, und die Schiiten bestehen auf ihren Forderungen.“
Für die sunnitischen Araber ist die staatliche Einheit nichts weniger als die Schicksalsfrage des Zweistromlands. Diese sehen sie jedoch vor allem durch eine starke Zentralmacht gewährt, von der sie sich erhoffen, in Zukunft wieder selbst eine entscheidende Rolle in den Geschicken des Landes zu spielen. Zwar sind die Sunniten bereit, der weitgehenden Autonomie Kurdistans zuzustimmen, einen schiitischen Teilstaat hingegen lehnen sie ab.
Bestrebungen nach einem schiitischen Teilstaat im Südirak gibt es seit längerem. Vor Monaten hatten die drei Provinzen Basra, Amara und Nassiriya eine Initiative für einen gemeinsamen Verbund auf den Weg gebracht. Initiiert wurde sie von dem säkularen Schiiten Ahmed Chalabi, der in der Übergangsregierung als stellvertretender Ministerpräsident amtiert, und dem „Herrn der Sümpfe“, Abdul Kerim Mohammedawi, dem bekannten ehemaligen Guerillaführer aus Amara. Mit Hakim hat sich jedoch erstmals einer der führenden schiitischen Politiker für einen schiitischen Quasistaat ausgesprochen.
Gemäß der irakischen Interimsverfassung können sich jeweils drei Provinzen zu einem Bundesland zusammenschließen. Hakims Vorschlag geht allerdings weit über die Süd-Initiative hinaus. Er sieht die Vereinigung aller neun Provinzen im Süden von Bagdad vor. „Wir dürfen diese Chance nicht verpassen“, sagte Abdul Aziz Hakim vor zehntausenden von Anhängern in Nadschaf. Die Region bilde eine sozial und historisch gewachsene Einheit, so Hakim. In Anlehnung an das gleichnamige frühe Reich soll der Gliedstaat in Sumer umbenannt werden.
Gleichzeitig ließ Hakim keinen Zweifel daran, dass in dem neuen Staat die Scharia, das islamische Recht, oberstes Gebot sein soll. Bei den Zuhörern, die sich am Donnerstag zum Gedenken an den vor zwei Jahren ermordeten Bruder Hakims, Ajatollah Mohammed Baker Hakim, versammelt hatten, stieß er damit auf offene Ohren.
Hakims Hoher Rat für die Islamische Revolution (Sciri) im Irak hat bei den Wahlen im vergangenen Januar in zahlreichen Provinzen des Südens eine Mehrheit errungen. Der bewaffnete Arm des Sciri, die von den iranischen Revolutionswächtern ausgebildeten Badr-Brigaden, haben seitdem an zahlreichen Orten die Kontrolle über die Sicherheitskräfte übernommen. In Bagdad trieben sie Anfang der Woche den Bürgermeister, den säkularen Schiiten Alaa al-Tamimi, aus dem Amt. Darüber hinaus haben vom Sciri kontrollierte Ministerien in jüngster Zeit die Islamisierung der öffentlichen Ordnung verschärft.
Mit Hakims Vorstoß werden jedoch auch die Gräben innerhalb des großen schiitischen Regierungsblocks deutlich. Ein Sprecher von Regierungschef Jaafari wies Hakims Forderung als völlig inakzeptabel zurück.
Strittig ist nach wie vor auch die Verteilung des Ölreichtums. Während Hakims Vorschlag den Bestrebungen von Teilen der Kurden, die Öleinkünfte unter die Kontrolle der Teilstaaten zu bringen, Rückendeckung gibt, verlangen dagegen allen voran die Sunniten, dass die Verteilung in der Hand Bagdads bleibt.
Dass die Konflikte bis zum kommenden Montag beigelegt werden können, glauben selbst in Bagdad nur noch wenige. Hakims Vorschlag erinnert derweil stark an die vor längerem ins Spiel gebrachte Dreiteilung des Iraks in einen kurdischen Norden, einen schiitischen Süden sowie ein sunnitisches Zentrum. Der Weg „Sumers“ zu einem Gottesstaat à la Iran wäre dann wohl unvermeidlich.