: Auf der Schnecke in die Sommerfreude
Schneckensex und Rasenmäherreisen: Die Insel-Lichtspiele zeigen in Hamburg-Wilhelmsburg Filme zum Thema „Geschwindigkeit“
Von Wilfried Hippen
Ein „Wanderkino“, das immer im selben Stadtteil bleibt. Schon in diesem Sinne sind die Insel-Lichtspiele ein merkwürdiges Kulturprojekt. Seit dem Jahr 2002 zeigt der Verein im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg Filme als mobiles Kino ohne eine feste Abspielstätte. Stattdessen steht die Kinoanlage an Orten, an denen sonst zumeist kaum Kulturveranstaltungen stattfinden. In diesem Jahr läuft das Open-Air-Sommerkino des Vereins im Kleingartenverein „Sommerfreude“.
Auch bei der Programmierung geht der Verein eigene Wege. Die sonst üblichen „Greatest Hits“ der vergangenen Kinosaison werden hier ebenso wenig gezeigt wie die notorischen Kultfilme und Klassiker, die sonst bei Open-Air-Kinos so beliebt sind. Stattdessen gibt es jedes Jahr einen thematischen Schwerpunkt, zu dem dann sowohl bekannte ältere Produktionen als auch weitgehend unbekannte Filme präsentiert werden.
In diesem Jahr stehen an sechs Abenden Filme zum Thema „Geschwindigkeit“ auf dem Programm. Dass dabei die Entschleunigung mindestens so wichtig ist wie die Beschleunigung, wird gleich beim ersten Film am heutigen Donnerstagabend ab 21 Uhr klar. In seiner Dokumentation „Slow – Langsam ist das neue Schnell“ berichtet der Filmemacher Sascha Seifert in aller Ruhe vom Leben der Schnecken im Stuttgarter Stadtwald. Seifert zeigt in extrem langen Einstellungen, wie Schnecken kriechen, schlafen, auf Pflanzen balancieren und Sex haben. So ähnlich würde der Film wohl auch aussehen, wenn er von einer Schnecke gedreht worden wäre.
Ebenfalls extrem entschleunigt ist das Erzähltempo von David Lynchs „The Straight Story – Eine wahre Geschichte“ aus dem Jahr 1999 am morgigen Freitag. Dies ist der wohl seltsamste Film von Lynch, denn er ist so „straight“, also konventionell inszeniert, wie man es dem Schöpfer von „Eraserhead“ und „Lost Highway“ kaum zugetraut hätte. Lynch erzählt von einem alten Mann, der auf den Straßen der USA 400 Kilometer lang auf einem Rasenmäher fährt, um seinen Bruder zu besuchen, mit dem er zehn Jahre lang nicht mehr geredet hat.
Aber dann beschleunigen die Filme. „Modern Times – Moderne Zeiten“ von und mit Charlie Chaplin am Samstag ist eine Satire darauf, wie in der Arbeitswelt die Menschen gezwungen werden, sich immer mehr dem Tempo der Maschinen anzupassen.
Und Godfrey Reggio zeigte in „Koyaanisqatsi“ 1982, wie die so beschleunigte Welt immer mehr aus den Fugen gerät. Hier waren zum ersten Mal die Zeitrafferbilder von nächtlichen Metropolen zu sehen, die danach in den Kinos zu immer gesehenen Klischees wurden.
Auch „Tempo“ von Stefan Ruzowitzky aus dem Jahr 1996 tritt am Freitag kommender Woche ordentlich in die Pedale: Der Film ist das Porträt eines Wiener Fahrradkuriers – vertont und vor allem geschnitten zu den treibenden Beats der damals angesagten Technomusik. Und zum furiosen Finale am Freitag kommender Woche kann man dann noch einmal Franka Potente in Tom Tykwers „Lola rennt“ durch Berlin hetzen sehen.
Do, 22. 8., bis Sa, 31. 8., Hamburg-Wilhelmsburg, Kleingartenverein Sommerfreude, Programm: insellichtspiel.wordpress.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen