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Die Gefahr der Radikalisierung

Wie gehen Gefängnisse in NRW mit inhaftierten IslamistInnen um? Und wie ginge es besser? Dazu trafen sich Experten und der Justizminister in der JVA Düsseldorf – und sahen Herausforderungen

Aus Düsseldorf Anett Selle

Brauchen Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen bessere Strategien gegen die Verbreitung von Islamismus? Was unternehmen die Justizvollzugsanstalten hierzu aktuell? Sind sie gerüstet für mögliche Rückkehrer aus dschihadistischen Kampfgebieten? Um das zu besprechen, trafen sich am Donnerstag ein Islamwissenschaftler, ein Konfliktforscher, ein Experte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der NRW-Justizminister zu einem Gespräch in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Düsseldorf.

Obwohl ein Fall von Radikalisierung in Gefangenschaft laut Justizminister Peter Biesen­bach (CDU) im NRW bislang nicht bekannt sei: Gegenmaßnahmen müsse man präventiv ergreifen, betonte der Politiker. Denn im Gefängnis gebe es einige Faktoren, die eine Radikalisierung begünstigten. Ein dortiger Aufenthalt sei nicht selten eine „Krisen- und Ausnahmesituation“, verbunden mit „Isolation und Verzweiflung“. Hinzu komme ein Stigma, das muslimische Gefangene treffe, sagte Andreas Zick, Professor für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Andere, islamistisch gesinnte Gefangene könnten dieses Stigma ausnutzen und versuchen, die Betroffenen auf ihre Seite zu ziehen.

Die JVA Düsseldorf ist nicht zufällig als Veranstaltungsort gewählt: Seit zwei Jahren verfolge das Gefängnis ein Inte­gra­tions­konzept für spannungsfreies Zusammenleben, berichtete Leiterin Beate Peters. Etwa 800 Menschen aus 64 Nationen halte man aktuell gefangen. „Eine bunte Mischung aus Sprache, Religion und Kultur.“

Vier IslamwissenschaftlerInnen sind seit Januar 2016 für den Strafvollzug tätig: Nicht nur für die JVA Düsseldorf, sondern für alle 36 Haftanstalten in NRW, sagt einer von ihnen, Mustafa Doymus vom Zentrum für Interkulturelle Kompetenz der Justiz NRW (ZIK). „Die Bediensteten können uns jederzeit kontaktieren mit Fragen, die im Alltag auftauchen.“ Als erstes Bundesland überhaupt habe NRW Islamwissenschaftler*innen im Strafvollzug eingestellt.

Vergleichbare, meist zivilgesellschaftliche Beratungsstellen gebe es in 14 von 16 Bundesländern, erklärt Florian Endres vom Bamf. In Brandenburg und im Saarland seien sie noch im Aufbau. Die Zusammenarbeit des ZIKs mit den Haftanstalten besteht aus vier Bausteinen. „Erstens, beginnende Islamisierung erkennen“, sagt Doymus. „Zweitens, islamisches Wissen vermitteln für den Umgang mit Gefangenen. Drittens, die Präventionsarbeit mit Alphabetisierungs-, Sprach- und Wertekursen. Wir haben in den letzten drei Jahren gemerkt, dass viele Gefangene Gespräche suchen. Und viertens: muslimische Religionsbetreuung.“

Das ist wohl das drängendste Problem: In NRW haben 3.500 gefangene Menschen angegeben, sie seien muslimischen Glaubens. Für sie stehen 30 bis 35 Imame bereit – für je zehn Stunden die Woche. Aus arbeitsrechtlichen Gründen dürfe man die Imame nicht für mehr Stunden beauftragen, sagt Doymus. Und gemäßigte Imame, die Deutsch sprechen und bereit sind, das Clearing-Verfahren zu durchlaufen, seien leider rar. Die Ditib-Moscheen beispielsweise sind unter der Bedingung einer Sicherheitsprüfung ihrer Imame nicht zu einer Zusammenarbeit bereit. Ein Lösungsvorschlag von Biesenbach: Vielleicht müsse es ja nicht immer ein Imam sein.

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