Arbeitsloseohne Anschluss

Arbeitslosentelefonhilfe droht die Insolvenz. Grund ist kein schrumpfender Bedarf, sondern eine geänderte Finanzierung durch die Stadt – und zu wenig Klient*innen vom Jobcenter

Anrufen? Gerne – bloß beraten wird in Hamburg nicht mehr einfach so am Telefon Foto: Arno Burgi/dpa

Von Kaija Kutter

Einfach zum Hörer greifen und sich Rat holen? Diese Möglichkeit haben Arbeitsuchende in Hamburg nicht mehr: Zum 1. April hat die hiesige „Arbeitslosen-Telefonhilfe“ (ATH) diesen Service eingestellt. Betroffene können zwar weiterhin anrufen – gebührenfrei unter ☎0800-111 04 44 –, müssen für die eigentliche Beratung aber ins Büro kommen, und das geht nur mit Termin. Eine andere, weniger offensichtliche Neuerung: Statt wie früher eine finanzielle „Pauschalzuweisung“ bekommt die Beratungseinrichtung von der Stadt Geld nur noch pro Fall. Weil davon aber zu wenige abgerechnet werden können, hat der Verein im Juli Insolvenzantrag gestellt – nach über 30 Jahren.

Man wolle das noch abwenden, sagt ATH-Geschäftsführer Kai Voet van Vormizeele. Der Verein habe kein Kostenproblem, sondern eines mit der Finanzierung, seit Geld nur noch über Kopfpauschalen herein komme: Rund 20 „Lebenslagenberatungen“ monatlich brauche man, um die Kosten zu decken, also die Miete sowie die Bezahlung von derzeit 20 Mitarbeiter*innen. Das Problem: Diese Beratung ist nicht offen zugänglich, die zu Beratenden schickt vielmehr das Jobcenter zur ATH. Das aber geschehe zu selten: „Im Mai kamen zwei Menschen“, sagt Voet van Vormizeele. „Das funktioniert so nicht.“ Weil die Stadt zudem noch eine Rückzahlung für das erste Quartal 2019 verlangt, kam es demnach zu Liquiditätsproblemen.

Insolvenzverwalter Tjark Thies erklärt, Löhne und Gehälter seien gesichert. „Dank einer überaus motivierten Belegschaft und der sehr kooperativen Behörde“ könne man den Betrieb aufrechterhalten. Langfristig sehe er „eine gute Zukunftsperspektive“ – nach Sanierungsmaßnahmen.

„Der Senat spart die Arbeitslosentelefonhilfe kaputt“, sagt dagegen die Linken-Abgeordnete Carola Ensslen. Grund für die Schwierigkeiten, mit denen auch andere Beratungsstellen zu kämpfen hätten, sei die 2012 vom SPD-Senat verfügte „Neuausrichtung“ hin zu den Fallpauschalen. Offene Beratung, zu der jede*r Anrufer*in sich unkompliziert anmelden könne, mache nur noch zehn Prozent des Budgets aus – und das reiche nicht, einen Träger über Wasser zu halten.

„Von Kaputtsparen kann nicht die Rede sein“, widerspricht Sozialbehördensprecher Martin Helfrich. Die ATH habe in einer Ausschreibung für die Lebenslagenberatung sogar mehrere „Lose“ bekommen. „Es findet im üblichen Maß eine Zuweisung durch die Jobcenter statt“: Dort bekämen Betroffene einen Beratungsschein ausgehändigt, bloß sei zuletzt „nur circa ein Prozent in eine vergütete stabilisierende Beratung“ gemündet. Es würden aber auch künftig Fälle zugewiesen. Vorausgesetzt, dass der Insolvenzverwalter eine tragbare Zukunft sehe und den Vertrag mit der Stadt nicht kündige, werde man daran festhalten.

„Der Senat beschneidet niedrigschwellige freiwillige Beratung, die Menschen in sozialen Notlagen dringend brauchen“, sagt die Linke Ensslen. Es liege weitgehend in der Hand der Jobcenter, ob sie diese Beratung finanzieren. „Das erschwert die Vertraulichkeit und damit den Erfolg des Beratungsprozesses.“

„Die Jobcenter können diese Aufgabe nur sehr begrenzt erfüllen“, sagt auch Klaus Wicher vom Sozialverband Deutschland: In eine Institution, die mit Sanktionen drohe, hätten viele Menschen kein Vertrauen. „Das Arbeitslosentelefon muss es weiter geben. Wir brauchen unabhängige Sozialberatung.“

„Eine offene Beratung ist wichtig für die Menschen, das haben wir auch angeführt“, sagt Kai Voet van Vormizeele. Nur habe der Senat nicht drauf gehört. Die existierende Lebenlagenberatung, die für bis zu 14 Monate bewilligt werde, sei aber auch ein gutes Angebot.

Internet: www.arbeitslosen-telefonhilfe.de