: Stoiber enttäuscht Bayerns Ossis
Auch im Süden Deutschlands gibt es Ostdeutsche. Die kritisieren nun ihren Ministerpräsidenten für seine Ossi-Schmähungen. Und selbst die konservative Presse spricht von einer wahltaktischen Katastrophe
MÜNCHEN taz ■ Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hat den Riss zwischen den noch nicht wirklich wiedervereinigten Staatshälften weiter vertieft – auch im sonst so selbstgefälligen Bayern gibt’s dafür eine ordentliche Tracht Prügel: „Die Union ist erstaunlich inkompetent“ – mit diesen Worten überschrieb etwa der konservative Münchner Merkur gestern ein Interview mit dem noch konservativeren Politikforscher und CSU-Freund Heinrich Oberreuther. Daneben eine Reportage mit der Überschrift „Sturz vom Schwarzen Grat“. Und im Leitartikel werden Stoibers Ossi-Schmähungen als „wahltaktische Katastrophe“ bezeichnet.
Damit reiht sich das schwarz gefärbte Blatt ein unter die Kritiker, die Joachim Herrmann, Chef der CSU-Landtagsfraktion, als „versammelte Linke“ abtut. Der Parlamentarier versuchte noch am Donnerstag, Stoiber zu sekundieren und den Spieß umzudrehen: „Das ist der klägliche Versuch, vom rot-grünen Versagen in Ostdeutschland abzulenken.“ Die Union werde alles tun, um die Ostdeutschen davon zu überzeugen, dass mit einer schwarzen Bundesregierung neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Übrigen unterhalte Bayern beste Beziehungen zu den deutschen Ländern. „Und das wird auch so bleiben.“ Glaubt zumindest Herrmann.
Auch Stoibers Innenminister Günther Beckstein (CSU) verteidigte seinen Chef: „Eine Wahlveranstaltung hat nicht die Qualität einer Regierungserklärung.“ Im Übrigen sei Stoiber ein „glühender Verfechter der Wiedervereinigung“. Daran zweifelten zumindest alle ostdeutschen „Bayern“, die das Münchner Boulevardblatt tz befragte: „Stoiber hat enttäuscht“, war die einhellige Aussage. „Ich finde die Äußerungen unmöglich, gerade im Wahlkampf. Es ist doch ziemlich überheblich von Herrn Stoiber, Bayern derart auszugrenzen“, sagte Franziska Karnehl, Studentin aus Leipzig, die seit zwei Jahren in Rosenheim lebt. Die 31-jährige Simone Rosin, die aus Cottbus stammt, sagte: „Es wird wieder eine Grenze zwischen Ost und West gezogen. Dieser Fehltritt wird sich auf das Wahlergebnis auswirken.“
Wegen seiner Ossi-Kritik hat Stoiber laut Meinungsforschungsinstitut Forsa stark an Vertrauen eingebüßt. Am Donnerstag bekam er bundesweit nur noch 41 von 100 möglichen Punkten, Anfang der Woche waren es noch 49 Punkte. Selbst in Bayern verlor Stoiber 5 Punkte und erreichte noch 51. 65 Prozent der Befragten meinten, Stoiber solle sich entschuldigen.
Für die bayerischen Linken ist Stoibers „Blutgrätsche“ eine Steilvorlage. Claudia Roth, Spitzenkandidatin der Grünen, schlägt vor, das Zensuswahlrecht wieder einzuführen und die Stimmen der Klugen und Glücklichen doppelt zu zählen. Stoiber wolle „auf der großen Bühne glänzen und hofft, dass niemand unter die Lederhose schaut“. Franz Maget, Chef der bayerischen SPD-Fraktion, erklärte: „Bei der Organisation der inneren und wirtschaftlichen Einheit sind Fehler gemacht worden.“ Das hätten aber Kohl und Waigel zu verantworten – Stoiber solle sich deshalb an die eigene Nase fassen: „Seine scheinbar staatsmännischen Äußerungen auf der bundespolitischen Bühne unterscheiden sich oft deutlich von seinen populistischen Auftritten in heimatlichen Bierzelten.“
Deutlicher wurde nach einem Tag des Zögerns auch die Kritik aus der Ost-CDU: Der frühere thüringische Ministerpräsident Vogel warf Stoiber indirekt Ignoranz vor: „Gelegentlich fehlt einem Teil der Westdeutschen die Kenntnis vor Ort im Osten.“ Und sein Parteikollege Wolfgang Böhmer, Regierungschef in Sachsen-Anhalt, stellte fest: „Im Fußball nennt man so etwas Eigentor.“ Allerdings spiele sich der Wahlkampf in Bayern „schon immer etwa anders ab als in anderen Gegenden Deutschlands, deswegen darf man sicherlich nicht alles auf die Goldwaage legen, was dort gesagt worden ist.“ MAX HÄGLER