Aus dem Titty Twister geschubst

Tarantinos Schmollmund-Heldin Juliette Lewis gibt mit ihrer Band The Licks dem verkorksten Sommer einen neuen Dreh: Aus der Flutwelle peinlicher singender Schauspieler heraus führte sie im SO 36 den lauten Beweis, dass es auch unpeinlich geht

VON DAVID DENK

Der verkorkste Sommer 2005 wird zweifellos als Sommer der singenden Schauspieler in die Berliner Stadtgeschichte eingehen: Jürgen Vogel mit der Hansen Band im Postbahnhof, Julie Delpy im Big Eden, Jana Pallaske spuckt gemeinsam mit ihren Begleitmusikern gern von hohen Gebäuden. Warum, weiß kein Mensch. Und jetzt noch Hollywood-Star Juliette Lewis, die mit ihrer Band „The Licks“ am Freitag im ausverkauften Kreuzberger SO 36 gefeiert wurde.

Wen der Sommer der singenden Schauspieler an den Horrorschocker „Die Nacht der lebenden Toten“ erinnert, hat völlig Recht, denn singende Schauspieler sind die Pest. Kein Klempner käme auf die Idee, einer spontanen Eingebung folgend, plötzlich Schuhe zu reparieren, sich anstelle von verstopften Abflüssen nun mit löchrigen Sohlen und abgelaufenen Absätzen rumzuschlagen. Zwar beteuert Jürgen Vogel, der den Sänger der Filmband Hansen nicht länger nur mehr mimt, immer wieder großen Respekt für seine Musikerkollegen, doch äußert sich gerade hierin die Hybris der Kreativen: Man begreift sich als Rohmasse, die sich ohne Qualitätsverlust in jede erdenkliche Form gießen lässt – eine fatale Modeerscheinung, die meist nur zu Mittelmäßigkeit führt. Was früher Pflicht war, ist heute Kür: singen zu können, wenn man auf einer Bühne steht und dafür Eintritt nimmt.

Deswegen freut man sich mittlerweile über Selbstverständlichkeiten wie ein Schneekönig. Etwa über Juliette Lewis, deren Stimme – im Gegensatz übrigens zu der von Jürgen Vogel – Volumen hat und die auf der Bühne buchstäblich alles gibt. Wenn auch nur 50 Minuten lang. „Unser Ziel ist es, den Zustand des kommerziellen Rock ’n’ Roll durch reine, unverfälschte, rohe Energie zu revolutionieren“, heißt es auf der Homepage von Juliette And The Licks ohne falsche Bescheidenheit. 2003 gründete Lewis ihre Band, die im Oktober 2004 die EP „… Like A Bolt Of Lightning“ und diesen Mai ihr Debütalbum „You’re Speaking My Language“ veröffentlichte.

Wenn man Juliette Lewis in schwarzen Hotpants über die Bühne turnen und wie von Sinnen das aktuell blonde, beinah arschlange Haar schütteln sieht, fragt man sich, warum sie in Quentin Tarantinos „From Dusk Till Dawn“ nicht einfach diese unansehnlichen Typen von der Bühne des „Titty Twister“ geschubst und selbst losgerockt hat. Sogar vor Stagediving machte Lewis nicht Halt: Sichtlich genoss sie den Nahkampf und sorgte damit wohl dafür, dass einige Glückliche im Publikum sich wohl erst mal ihre Hände nicht mehr waschen werden. „I can’t believe it. You have been listening to the record!“, schrie sie ihren textsicheren Fans artig entgegen.

Die Band gab dem Publikum den Rest. Sie spielte druckvoll und prügelte in bester Schweinerockmanier auf ihre Instrumente ein, als ob es kein Morgen gäbe. Das ging nach vorn wie der blendende Scheinwerfer im Dauereinsatz. Die Begeisterung war so groß, dass niemand sich damit zufrieden geben wollte, dass nach der zweiten Zugabe, „Search and Destroy“ von Iggy Pop, und nicht mal einer Stunde schon Schluss sein sollte. „This last song …“, setzte Lewis an und erntete Buhrufe. Zweiter Versuch – und wieder Missfallensbekundungen. Sie wollten sie einfach nicht gehen lassen und skandierten auch dann noch laut und fordend „ZU-GA-BE!“, als das Licht schon wieder an war.

Scientology-Mitglied Lewis will laut Band-Homepage „Musik als Serum gegen in unserer Gesellschaft stark zunehmende Selbstzweifel, Apathie und Angst“ einsetzen. Am Freitag im SO 36 hat sie getan, was in ihrer Macht stand – und das war verdammt viel, aber für eine schauspielernde Rockapologetin noch nicht genug. Ihre Mission geht weiter: Demnächst mit Haareschütteln in Ungarn.