: Kampf der Künste
Geknippstes übermalen: Was ist das eigentlich für eine Form von Kunst? Eine Ausstellung im Sprengel-Museum in Hannover geht dem Verhältnis von Fotografie und Malerei nach
Von Bettina Maria Brosowsky
Man ist es mittlerweile gewohnt, in der Kunst vieles als „hybrid“ serviert zu bekommen. Maler*innen arbeiten sich gern auch mal in die dritte Dimension vor, dem relativ jungen Genre Installation sei Dank, die keine virtuosen, künstlerisch technischen Spezialfähigkeiten wie die Bildhauerei oder die Gussplastik erfordert. Etwas Disparates zusammenzumontieren geht einfacher, vielleicht gar flott von der Hand, scheint so selbstverständlich wie naheliegend. Es mag sein, dass sich in derart produktivem Dilettantismus auch stets die Kritik an einer dogmatisch verkrusteten, klassischen Disziplin Bahn bricht, die starre Grenzen überwinden, ein künstlerisches Ausdruckswollen erweitern möchte.
Wie wären dann Übermalungen oder das handwerkliche Überarbeiten von Fotografien zu beurteilen? Das Sprengel-Museum Hannover, seit Mai 2016 mit einer kuratorischen Doppelspitze im Bereich Fotografie gesegnet, geht dieser Frage in einer Ausstellung nach. Der Schwerpunkt liegt auf einer aktuellen Renaissance des „Manuellen im Feld des Fotografischen“, um präzise am Wortlaut von Kurator Stefan Gronert und Assistentin Theresia Stipp zu bleiben, durch nicht nur jüngere Fotograf*innen aus dem deutschsprachigen Raum. Sind die „medialen Grenzen der Bild-Gattungen“ aufgegeben?
Nun ist das Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie seit Aufkommen letzterer stets etwas angespannt geblieben. Walter Benjamin drückte 1931 in seiner bekannt komplizierten Diktion den Reiz des Fotografischen einmal so aus: „[D]ie exakteste Technik kann ihren Hervorbringungen einen magischen Wert geben, wie für uns ihn ein gemaltes Bild nie mehr besitzen kann“. Der Betrachter fühle unwiderstehlich den Zwang, in solchem Bild das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, zu suchen, die unscheinbare Stelle zu finden, in welcher, „im Sosein jener längst vergangenen Minute das Künftige noch heut und so beredt nistet, dass wir, rückblickend, es entdecken können.“
Benjamin bezog sich auf das Porträt eines „Fischweibs“ der Fotopioniere Hill und Adamson, um 1843 entstanden. Aber die frühe Fotografie war sich offenbar dieser spezifischen, ja nicht nur ästhetischen Qualität ihres Mediums kaum bewusst. Denn sie imitierte wenig später, im sogenannten Piktorialismus um 1900, Unschärfe und Ausdrucksweisen impressionistischer Malerei, buhlte als „Kunstfotografie“ um Anerkennung.
Grimassen auf Drogen
Aber auch ihre radikale Emanzipation in den 1920er-Jahren, mit sachlich Neuem Sehen, Bauhaus, surrealistischem Experiment oder der Montage mit Schrift und Farbe, führte nicht dazu, dass die Fotografie in den Olymp der Künste aufgenommen wurde. Es bedurfte noch langer Jahrzehnte – in Deutschland wohl bis zur 6. Documenta 1977 – bis die Lichtbildnerei, dann oft als „Autorenfotografie“ überhöht, Einzug in die Kunstmuseen halten durfte.
Aus dieser Zeit datieren auch die ersten Übermalungen von Fotografien. Der Österreicher Arnulf Rainer begann in den 1960er-Jahren seine bildnerischen Experimente unter Drogen- und Alkoholkonsum. Er nahm Selbstporträts, grimassierend oder mit Gesichtsbemalung, teils dem Fotoautomaten entsprungen, die er dann be- und übermalte. Seine Strichführung war gestisch, halluzinativ, vielleicht so ungestüm und eruptiv, wie er sie in der Malerei von Geisteskranken vermutete. Heute verstört ihre autodestruktive Komponente, düster zwischen Schmerz und Tod.
Einige Werke Rainers bilden nun den chronologischen wie thematischen Einstieg in die Ausstellung über sechs Räume. Neben, wie so oft, humorvollen Arbeiten Sigmar Polkes darf auch Altmeister Gerhard Richter hier nicht fehlen. Er malt Abstraktes, Sperriges oder auch vegetabil Anmutendes vor eine fotografierte Landschaft.
Und wie sehen nun die aktuellen Spielarten, respektive jüngerer Künstler*innen, einer übermalten Fotografie aus? Florian Merkel, Jahrgang 1961, auch als Performer, Schlagzeuger und Sänger aktiv, greift zur klassischen Technik der Eiweißlasur. Sie gab etwa frühen Schwarz-Weiß-Postkarten oder Porträtfotos einen wohlgesetzten Hauch von Farbe. Merkel verwendet sie nun intensivfarbig, als plakativen Hintergrund, das Bildmotiv ist banal, etwa ein Musikerantlitz.
Auch Sabrina Jung, 1978 geboren, nimmt Lasur, verziert eine Serie antiquiert weiblicher Porträtfotos mit leuchtendem Make-up. Auf zwei Schwarzweiß-Fotografien Verstorbener sieht man ihre Fingerabdrücke oder Markierungen in dunklerem Grau. Sie scheinen die makellos hergerichteten Toten zu verletzen, zumindest zu beschmutzen – was auch immer die künstlerische Absicht jenseits eines Tabubruchs hier sein soll.
Anna Vogel, Jahrgang 1981, verfremdet Fotografien mittels streifigem Tintenstrahldruck. Shannon Bool – sie wurde 1972 in Kanada geboren, lebt und arbeitet in Berlin – interessiert das Ornament. In Katalogfotos kunstgewerblicher Sammlungen vervollständigt oder ergänzt sie die Objekte, oder sie malt repetitive vegetabile Strukturen ins Laub der Bildvordergründe kleiner Landschaftsfotos.
Durchdringung gelungen
All das mag nicht so recht berühren. Mit anderem Temperament greift da schon Peter Klare zum Pinsel. Der 1969 Geborene werkelt mit silbrig deckender Farbe in großformatigen Fotografien menschengemachter Landschaften, lässt Teile, ganze Straßenzüge, Schilder oder Autos wie in Nebelwolken verschwinden. Diese motivische Intervention verleiht den alltäglichen Situationen dystopische Züge.
Und dann trifft man auf Helen Feifel. Sie wurde 1983 geboren, ist somit die jüngste der Riege. Feifel verschränkt nun die Medien, malt etwa einen Bildhintergrund, der dann fotografiert wird. Der großformatige Abzug dient als bildgenerierende Grundlage der Malerei. Sie ersinnt so eine eigenwillige Bildfindungsmethode mitsamt reduzierter, luftiger Ästhetik: Feifel wagt als Einzige die wirkliche Durchdringung der Disziplinen. Die kuratorische Frage „ob die traditionelle Fotografie überhaupt noch erkennbar bleibt“, erhält hier eine souveräne Antwort.
Bis 6. 10., Hannover, Sprengel-Museum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen