piwik no script img

Antwort auf Lebensfragen

Einblick in eine sehr persönliche Beziehung: Arbeiten des 2013 verstorbenen Bremer Malers Norbert Schwontkowski sind in Worpswede zu sehen. Sie stammen aus der Sammlung Seinsoth

Von Radek Krolczyk

Der Bremer Maler Norbert Schwontkowski wäre in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass widmen Galerien, Kunstvereine und Museen dem Künstler zahlreiche Ausstellungen: Anfang des Jahres zeigte die Berliner Galerie Contemporary Fine Arts (CFA) Arbeiten aus dem Nachlass des 2013 Verstorbenen, der Bremerhavener Kunstverein präsentierte dann im Mai welche aus dortigen Privatsammlungen, die Bremer Kunsthalle plant für nächstes Jahr eine umfangreiche Werkschau. In Worpswede läuft noch bis Anfang November eine sehr besondere Schwontkowski-Ausstellung. Ihre Besonderheit liegt wiederum an Herkunft und Geschichte der privaten Sammlung, aus der das Gezeigte stammt: Zusammengetragen haben die Leinwände, Drucke, Collagen und Unikatbücher seit den 1980er-Jahren Brigitte und Udo Seinsoth.

Das Paar eröffnete 1980 im Bremer Ostertorviertel in ihrem Wohnhaus ein Antiquariat, wenig später eine Kunstgalerie. Das weiße Jahrhundertwendehaus nannte Schwontkowski anlässlich des Todes seiner Galeristin im Jahr 2012 „eine sichere Burg“. Diese sichere Burg beherbergte über drei Jahrzehnte immer wieder auch sein Werk. Schwontkows­ki gehörte früh zum Programm der Galerie. Udo Seinsoth lernte ihn 1982 auf einem Sommerfest der Ateliergemeinschaft Nordstraße kennen, in der er gemeinsam mit anderen Künstlern wie Thomas Hartmann, Jub Mönster oder Horst Müller arbeitete. Bei dieser ersten Begegnung erwarb Seinsoth erste Bilder des damals jungen Malers. Während ihrer Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit haben die Seinsoths immer wieder Arbeiten von Schwontkowski gekauft, von denen nun einige im Worpsweder Barkenhoff hängen.

„Es war die Zeit der sogenannten jungen Wilden“, schreibt der Sammler im Katalog, „heftige, expressive Malerei war im Trend. Hier war alles anders, hier atmete die Stille, die Bilder hatten etwas Poetisches und Magisches. Etwas ganz Neues, bisher Ungesehenes, wie aus der Zeit gefallen, dachte ich. Die Bilder und Zeichnungen schienen teils unfertig, oder verbargen etwas, ich konnte es nicht ergründen. Sie zogen mich einfach in den Bann.“

Schwontkowski hatte in den späten 70er-Jahren an der Bremer Hochschule für Künste in der Klasse des informellen Malers Karl-Heinz Greune studiert. Bekannt wurde er dann für seine reduzierten, melancholischen Szenen, die von einer Art der Einsamkeit handeln, wie man sie möglicherweise nur in einer etwas öden Gegend erfahren kann – wie Bremen oder Niedersachen. Immer wieder sieht man einsame Figuren am Meer, Schiffsmasten, Kirchturmspitzen oder Straßenlaternen im Nebel. Die Hintergründe erinnern an alte Klostermauern, an denen Fresken mehrerer Jahrhunderte und verschiedene Anstriche einander überdecken, hier und da aufbrechen, um den Blick auf die Geschichte zu eröffnen. Besonders auf diese Hintergründe legte Schwontkowski Wert: Sie sind Ergebnis langwieriger Experimente. Die Farbe trug er in dicken Schichten auf, verwendete gelegentlich Zahnpasta, Öle oder Eisenoxide – damit sich die Farbe mit der Zeit veränderte. War die Arbeit an einem solchen Bildhintergrund abgeschlossen, krakelte er schließlich einsame Figuren darauf.

In Worpswede sieht man auf einer hohen, leicht durchgebogenen Leinwand so eine Figur, etwas ausgefranst, auf ihrem Weg in den Himmel: Die Stiefel bleiben am Boden, der Hut schwebt voraus. Ein heller Lichtstrahl umhüllt sie, und als wüsste sie, dass sie bloß gemalt ist, tropft etwas Farbe von ihr herunter. „Schnelles Verschwinden“ ist der Titel der 1994 entstandenen Ölbildes. Schwontkowski war dafür bekannt, die beiläufigen wie großen Themen des Lebens gleichermaßen tiefgründig und humorvoll zu behandeln; und so begleiten Schwermut und Witz den Sterbenden auf dem Bild.

Udo Seinsoth erzählt, er habe sich stets für die untypischen Bilder seines Freundes begeistert, Bilder von den Rändern des Werkes. Im Katalog betont Reiner Bessling das Verhältnis von Bild und Wort, von Malerei und Sprache. Aus Schwontkowskis Nachlass hat Bessling dafür eine Menge literarischer Fragmente zusammengetragen, setzt sie in Bezug zu seinen Bildern: „Wenn die Sprache oder das Wort am Anfang war, war die Zeichnung, war das Bild keine zwei Sekunden später da.“ Und: „Sie war da als etwas Eingeritztes, schnell Geworfenes, ein mit Holzkohle bezeichneter Stein, eine geschmückte Haut, ein markiertes Blatt.“

Schwontkowski hatte nicht nur eine große Bibliothek, sondern malte immer wieder zu literarischen Themen. Die beiden Bilder, die vom Schriftsteller Rolf-Dieter Brinkmann inspiriert waren, kaufte Seinsoth sofort. Mit dem Autor war der Antiquar auch befreundet, bei Seinsoth gab es immer wieder Lesungen etwa von Autor*innen wie Ernst Jandl, Gerhard Rühm und Friederike Mayröcker, die Schwontkowski gern besuchte.

Auffällig ist der hohe Anteil an literarischen Arbeiten Schwontkowskis innerhalb der Sammlung. Zum Beispiel die 18-teilige Serie „9 Sonaten und 9 Soldaten“ aus dem Jahr 1984: In zwei Reihen sieht man auf fragilem Kohlepapier oben Sternkonstellationen, unten Soldaten; nicht beim Töten oder Marschieren, sondern beim Bügeln, Küssen und Schlafen. Malerei ist hier nicht nur Antwort auf alle Lebensfragen, sie macht sogar Soldaten zu Menschen

Die regelmäßigen Ankäufe der Seinsoths waren für Schwontkows­ki lange Zeit ökonomisch wichtig. Der große Erfolg ließ auf sich warten, er musste zusehen, dass er über die Runden kam. 1993 widmete ihm der Bremerhavener Kunstverein seine erste institutionelle Einzelausstellung, 2004 folgte die Bremer Kunsthalle, daraufhin bekam er an der Hamburger Kunsthochschule eine Professur und wurde von großen Galerien in Wien, Berlin, New York ins Programm genommen. Wenige Tage nach seiner gefeierten Eröffnung im Hamburger Kunstverein erhielt er die Krebsdiagnose.

Einer der Schwerpunkte der Sammlung Seinsoth sind Schwontkowskis Arbeiten auf Papier. Zu den Ausstellungen in ihrer Galerie Beim Steinernen Kreuz wurden zudem in niedrigen Auflagen Mappen mit Drucken produziert. Aus dem Urlaub schickte der Maler Postkarten an seine Galerist*innen, übermalt mit eigenen Motiven. Noch vor zwei Jahren erwarb Udo Seinsoth von einer Geliebten Schwontkowskis ein kleines Büchlein mit pornografischen Collagen. In die so entstandene, sehr persönliche Sammlung gewährt Udo Seinsoth nun in Worpswede Einblick.

Begleitend ist ein Buch mit dem ebenfalls wieder auf Literatur verweisenden Titel „visuel poetry“ erschienen, in dem die Sammlung vollständig dokumentiert ist. Gerade die Breite an Druckgrafik und Papierarbeiten ist beeindruckend.

Die Sammlung geht nach Ausstellungsende zunächst als Dauerleihgabe an die Bremer Weserburg, wo ein dauerhafter Schwontkowski-Raum eingerichtet werden soll. Beteiligt war, in den frühen 90er-Jahren, an der Gründung des Museums auch Udo Seinsoth.

„Norbert Schwontkowski – Gemalte Poesie. Die Sammlung Seinsoth“: bis 3. 11., Worpswede, Barkenhoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen