Die Wahrheit: Scooterman und seine Oma
Unser Held im Rollstuhl fährt um einen See herum und tief in seine Vergangenheit hinein, als Großmutter einmal gar nichts verstand.
N eulich gelang es Ihrem Scooterman, seine Lieblingsbegleiterin zu einer Umrundung des Berliner Lietzensees zu bewegen. Ein kleines Gewässer, aber eine Gegend, die der Scooterman schon deshalb gut kennt, weil er Ende des vorigen Jahrtausends für mehr als zehn Jahre dort lebte. Einkäufe erledigte er in der Fußgängerzone der Wilmersdorfer Straße, sein Lieblingskino war natürlich das Kant Kino. Allein schon deshalb, weil dessen Saal keine hundert Meter von seiner damaligen Wohnung entfernt war.
Die wichtigste Rolle spielte der Lietzensee allerdings in der Zeit, als der Scooterman seine Diplomarbeit in Politikwissenschaft schrieb: „Mensch will Maschine werden. Und unterliegt. Der Begriff der prometheischen Scham im Leben und Werk des politischen Philosophen Günther Anders.“ So lautete tatsächlich der Titel der Abschlussarbeit des Scooterman, die ihn als diplomierten Politikwissenschaftler aus den Fängen der Freien Universität Berlin entließ. Und das bereits im siebzehnten Semester.
Dass die Familie Ihres Scootermans den Umgang mit Akademikern nicht gewohnt war, zeigte sich bereits beim ersten Telefonat, das er führte, nachdem er heiser und schweißnass aus dem Prüfungsraum des Otto-Suhr-Instituts gewankt war. Seine Großmutter Käthe war zu Hause. Wie eigentlich jeden Nachmittag saß sie auf dem Sofa und ließ das Nachmittagsprogramm des Fernsehens reaktionslos an sich vorbeiziehen. „Hallo, Käthe, ich hab gerade die Prüfung bestanden“, vermeldete der junge Scooterman ebenso stolz wie kurz angebunden.
„Und, hast Arbeit?“, war die einzige Reaktion der alten Frau, die es in den letzten Jahren ohnehin nie verstanden hatte, dass ihr Enkel immer noch in die Schule gehen musste. Und zwar ohne zweimal jährlich ein Zeugnis vorzuzeigen. Was diese „Scheine“ sein sollten, von denen er ständig redete, hatte sich ihr ohnehin nie erschlossen. Nicht einmal Zahlen standen da drauf. Kein Wunder also, dass sie ihr Geld lieber in ihrem Portemonnaie ließ, statt es an den Scooterman weiterzugeben.
Aber zurück zum sonntäglichen Spaziergang um den Lietzensee. Eigentlich besteht der aus zwei Hälften. Geteilt wird er quasi durch die Neue Kantstraße, die ihn in der Mitte überquert. Die südliche Hälfte ist etwas, nun ja, malerischer. Komplett mit einem Café am Ufer, mit Schwänen und Enten. Unterquert man die Neue Kantstraße durch einen kleinen Tunnel, wird es nostalgisch für den Scooterman.
Ende des letzten Jahrtausends lief es einige Jahre lang ziemlich gut für den Scooterman. Da schrieb er Drehbücher für mehrere Staffeln der „Soko Köln“, schrieb ein Buch nach dem anderen, wenn er nicht gerade um die Welt fuhr. Plötzlich spürte er einen sanften Stoß von seiner Begleiterin. „Und dann hat dir die Krankheit alles kaputt gemacht?“, fragte sie. Manchmal kann das Leben eben gemein sein. Aber wenn man dafür eine solche Begleiterin hat?
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