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Immer feste druff auf den Materialismus

Verzettelung pur: „Der unverhoffte Charme des Geldes“, eine sozialkritische Thriller-Komödie des frankokanadischen Regisseurs Denys Arcand

Die Hetäre Aspasia und der Philosoph Sokrates in modern: Maripier Morin als Camille und Alexandre Landry als Pierre-Paul Foto: MFA+

Von Fabian Tietke

Das Leben von Pierre-­Paul ­­Daoust ist in eine Sack­gasse geraten. Trotz Doktortitel in Philosophie rui­niert er sich zwecks Broterwerb die Knie als Paketbote. Seine Beziehung zu der geschiedenen Bankangestellten Linda steckt in einer Krise. Da hilft es wenig, dass er ihr erklärt, sein Miss­erfolg liege an seiner überdurchschnittlichen Intelligenz. Das sei nun mal – so Daoust– ein Handicap. Linda hofft, einmal genug Geld zu haben, um mit ihrem Sohn in Urlaub fahren zu können. Pierre-Paul hingegen sieht Geld als Grund allen Übels.

In dem jüngsten Film des kanadischen Regisseurs Denys Arcand, „Der unverhoffte Charme des Geldes“, will es der Zufall, dass Daoust eine riesige Summe Geld in die Hände fällt.

Der im frankofonen Teil Kanadas, in Quebec geborene Regisseur Denys Arcand führt mit dem Film die Kritik am Mate­rialismus der gegenwärtigen Gesellschaft fort, die ihn seit Langem in seinen Filmen umtreibt. Arcand begann seine Karriere Mitte der 1960er Jahre mit einer Reihe von sozial engagierten Dokumentarfilmen, produziert vom National Filmboard of Canada. Eine Dokumen­tation über die Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern in Quebec durfte längere Zeit nicht öffentlich gezeigt werden, weil sie als politisch heikel galt.

Arcand machte weitere Dokumentarfilme, erste Spielfilme und eine Fernsehserie, bevor er 1986 „Le Déclin de l’empire américain“ drehte: eine Low-Budget-Komödie über befreundete Paare, die bei einem Essen über ihr Sexualleben und die These diskutieren, dass sich die US-Gesellschaft im Niedergang befinde. „Le Déclin de l’empire américain“ wurde zum erfolgreichsten Film Quebecs. 2003 setzte Arcand diese Geschichte mit „Les Invasions barbares“ fort und gewann als erster kanadischer Regisseur einen Oscar als bester ausländischer Film.

Die Art, wie Arcand in dem Film „Der unverhoffte Charme des Geldes“ mit Zufällen die Ausgangsbedingungen für seine Krimikomödie über die finanzielle Versuchung eines jungen Musterbürgers schafft, wirkt schwerfällig. Pierre-Paul, der Protagonist, ist mit seinem Lieferwagen voller Pakete zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ihm fällt buchstäblich Kohle aus einem Überfall auf einen Geldtransport vor die Füße.

Der neue Reichtum stellt den in weltlichen Dingen eher ungeschickten jungen Mann vor unerwartete Probleme: Was tun mit dem Geld? Als er vor der Polizei behauptet, von dem Überfall nichts mitbekommen zu haben und niemanden gesehen zu haben, wird diese hellhörig. Die Gang, von der sich herausstellt, dass ihr das Geld gehört hat, will es wiederhaben. ­Daoust deponiert die Flocken wenig unauffällig in einem Lagerraum. Die erste Ausgabe, die er damit tätigt, ist ein Treffen mit dem Nobel-Escort Aspasia. Kurz darauf erfährt Daoust durch Zufall aus den Fernsehnachrichten, dass der kriminelle Mastermind Sylvain Bigras in Kürze aus dem Gefängnis entlassen wird. Praktischerweise hat sich Bigras während seiner Haft in Finanzmanagement fortgebildet. Bigras gibt Daoust eine kurze Einführung in das Leben als Krimineller und schüttelt den Kopf über die bisherigen Unbedachtheiten des jungen Mannes. Gemeinsam mit Bigras und Aspasia, die mit bürgerlichem Namen Camille Lafontaine heißt, überlegt Daoust, wie das Geld vor Behörden und Gang in Sicherheit zu bringen wäre.

Die Figur Pierre-Paul ­Daoust bleibt moralisch geradlinig, lässt sich nicht korrumpieren. ­Daoust benutzt einen Teil des Geldes, um dem entkommenen Räuber zu helfen, der von der Gang gefoltert wurde, um das Geld wiederzubekommen. Weiterhin arbeitet er in einer ­Essenausgabe für Obdachlose und gewinnt sogar Camille für diese gemeinnützige Arbeit. Es wirkt, als hätte Denys Arcand das Interesse an allen moralischen Konflikten seines Hauptdarstellers verloren, sobald dieser das Geld in Händen hält. Stattdessen verwandelt sich „Der unverhoffte Charme des Geldes“ von da an in eine recht schlichte Krimikomödie über einen zusammengewürfelten Trupp. Dass Daoust diesen Trupp zunehmend nach seinen Vorstellungen formt, hat ein Geschmäckle. Camille bringt er dazu, die Sexarbeit aufzugeben, und dem jungen schwarzen Räuber werden sämtliche Entscheidungen abgenommen.

Arcand zeigt eine Welt, die sich zunehmend nach den Vorstellungen des Protagonisten ausrichtet

„Der unverhoffte Charme des Geldes“ zeigt eine Welt, die sich zunehmend nach den Vorstellungen des jungen, männlichen Protagonisten ausrichtet. Besonders ärgerlich an Arcands Film sind die Stellen, die der Regisseur für politische Seitenhiebe benutzt: Dass das Vorhaben der drei für einen Anlageberater, den Camille hinzuzieht, eher Alltagsgeschäft ist als die kriminelle Ausnahme, wirkt klischeehaft. Ebenso der ermittelnde Polizist, der sich über den „scheißfeministischen Richter“ bei seiner Scheidung beklagt und dessen Kollege angesichts einer Demonstration räsonieren darf, wenn man ihn ließe, würde er diese mit Tränengas und Gummiknüppeln schon in zehn Minuten aufgelöst kriegen.

Nichts davon mag aus der Luft gegriffen sein, aber in Arcands Film fragt man sich als Zuschauer schon, warum man gerade das gezeigt bekommt. Das US-amerikanische Empire, das sich bei Arcand seit 33 Jahren im Niedergang befindet, erweist sich zumindest als lebendiger als Arcands Kritik daran.

Die interessanteste Figur des Films ist einer der Obdachlosen, der die Essenausgabe mitorganisiert und mit dem sich Daoust auch privat trifft. Aus diesen Szenen spricht eine Milieu­kenntnis, von der man sich mehr gewünscht hätte. Etwa in der Hälfte des Films ist Camille überrascht, als ihr Pierre-Paul das Ausmaß der Obdachlosigkeit in Montreal beschreibt und dass es die Inuit besonders hart trifft. Obdachlosigkeit nicht nur als Objekt des moralischen Handelns zu zeigen zählt zu den vertanen Chancen des Films. Zumal sich ein solcher Realitätsbezug gut als Gegengewicht zu den Klischees geeignet hätte. Dass „Der unverhoffte Charme des Geldes“ dennoch erträglich geworden ist, liegt an den weiblichen Nebenrollen, die weit mehr Komplexität haben als die männlichen Rollen und immer bemüht sind, dem Drang ins Klischeehafte entgegenzuwirken.

Am deutlichsten wird dies an der ermittelnden Polizistin, die ihren Kollegen immer wieder in seinem Selbstmitleid bremst und mit knappen Kommentaren und Gesten ein Gegengewicht bildet. Sehr ähnlich die Begegnung zwischen einer Matrone und ihrem dandyhaften Mann, die Geld im Ausland angelegt haben und hoffen, von der Gruppe ausbezahlt zu werden, und Linda, der Bankangestellten. In wenigen Worten entfaltet sich zwischen den beiden ein Miniduell. Denys Arcand hätte also die Elemente zur Hand gehabt, um aus dem „Unverhofften Charme des Geldes“ eine politisch bewusste Komödie über die Versuchungen des Geldes zu machen. Leider war ihm das wohl nicht bewusst.

„Der unverhoffte Charme des Geldes“. Regie: Denys Arcand. Mit Alexandre Landry, Maripier Morin u. a. Kanada 2018, 128 Min.

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