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War das hierwirklich ein Halbfinale?

Gut, dass Jackie Groenen irgendwann ins Tor traf, denn sie erlöste nicht nur die Niederländerinnen, sondern alle Zuschauer, die von dieser Partie genug hatten

Danke, Jackie! Groenen schießt ein Tor und feiert mit Flügelläuferin Shanice van de Sanden Foto: Benoit Tessier/reuters

Aus Lyon Alina Schwermer

In der 9. Minute der Verlängerung erlöste Jackie Groenen alle. Sie erlöste die Niederländerinnen, die erschöpften Schwedinnen und sicher auch das Publikum, jedenfalls den Bruchteil, der es bis dahin noch ausgehalten hatte. Im ohnehin recht leeren Stadion von Lyon waren mit dem Pfiff zur Verlängerung viele einfach vorzeitig gegangen.

Am Ende blieben ein kleines Häufchen niederländischer und ein kleines Häufchen schwedischer Anhängerinnen, die ein­ander unbeirrbar im leeren Rund gegenüberstanden. Eine traurige Kulisse für einen traurigen Kick. War das hier ein Halbfinale? Es war durchweg nur niedriges Niveau zu bestaunen, allerhand Fehlpässe, zähes Rumgetüddel im Mittelfeld, kaum Torszenen, und gefühlte 60 km/h langsamer als das Halbfinale England-USA war’s ohnehin.

Dröger Kick

Irgendwann kam dann halt Groenen: Mit einem platzierten Flachschuss in die linke Ecke beförderte die Noch-Frankfurterin, die demnächst das Trikot von Manchester United trägt, die Niederlande ins WM-Finale. Es ist die erste Final-Teilnahme bei der erst zweiten WM-Teilnahme; 2015 schieden sie schon im Achtelfinale aus. Und jetzt: Europameisterinnen und wohl Vizeweltmeisterinnen, das klingt toll.

Irreführend ist es allerdings. Nicht nur, weil das Oranje-Team diesen legendär leichten Turnierbaum erwischte. Am Mittwochabend in Lyon traten zwei Mannschaften gegeneinander an, die eigentlich beide nicht hier hätten stehen sollen. Schweden hat sich mit Glück und mittelmäßigem Fußball ins Halbfinale gemauert, die Niederländerinnen haben sich bis dato mühsam und spielerisch durchwachsen durchs Turnier geschleppt. Ihr Spiel erinnerte gegen Schweden an das der deutschen Mannschaft: Der Wille zu attraktiven Passstafetten war da, aber es blieb meist bei der guten Absicht. Gegen die destruktiven Schwedinnen fanden die Niederlande schlicht kein Mittel, kein Tempo, keine Überraschungsmomente. Sie waren bloß, im Gegensatz zu Team Germany, nicht so blind offensiv und konteranfällig, mithin taktisch smarter, und dürfen deshalb weiterziehen ins Finale, wo sie in fast jedem denkbaren Szenario von den USA zerlegt werden dürften. Wie nachhaltig ist die Entwicklung im Nachbarland überhaupt? Ist das nicht eher der Blütentraum einer begabten Generation, im Gegensatz zum strukturierten Aufbau, der gerade in anderen Ländern stattfindet?

Das Spiel: zähes Rumgetüddel im Mittelfeld, kaum Torszenen, lang­sames Geschiebe

Viel hängt von den Einzelkönnerinnen ab. Die goldene Offensive des Oranje-Teams sucht sich bislang vor allem selbst. Allein Vivianne Miedema überzeugte streckenweise: drei Tore, neue Rekordschützin, auch diesmal hatte sie eine der wenigen Torchancen im Spiel – in der zweiten Hälfte lenkte Hedvig Lindahl ihren Kopfball an die Latte. Lieke Martens dagegen, das Wunderkind der EM, plagt sich mit einer hartnäckigen Verletzung, spielte unter Schmerzen und wurde, nachdem sie weitgehend unsichtbar blieb, schon zur Halbzeit ausgewechselt. Eine noch tiefere Krise durchläuft Shanice van de Sanden, die wegen ihrer schlechten Leistungen eine ganze Weile sogar auf der Bank bleiben musste. Das Eindrücklichste, was sie bislang zur WM beitrug, ist die mittlerweile vergangene Leoparden-Frisur.

In der zweiten Hälfte kam van de Sanden, putschte mit ein paar schnellen Läufen das Publikum auf, bestätigte dann allerdings mit einer Serie schlechter Hereingaben und dem kuriosen Verdaddeln einer Hundertprozentigen, warum sie auf der Bank gesessen hatte. Viel schwächer als der Rest war sie aber auch nicht. Die Schwedinnen hatten im Rahmen ihrer Möglichkeiten vor allem in Halbzeit eins Gegenwehr geleistet; es war ein zerfahrenes Ringen im Mittelfeld.

Mit einem Pfostenschuss hatte Nilla Fischer gar die Chance auf die schwedische Führung. In der zweiten Hälfte schwanden den Schwedinnen zunehmend die Kräfte, Oranje bekam Räume und reichlich Fehlpässe geschenkt. Lange wussten sie damit auch nichts Gescheites anzufangen. Erst, als man schon annahm, dass so ein Spiel nur im Elfmeterschießen entschieden werden kann, nahm Groenen Maß, schoss platziert ins Eck und erlöste alle.

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