: Kniefall nicht in Sicht
China wartet auf eine Entschuldigung aus Tokio. Doch Japan will sich zu den Kriegsverbrechen nicht bekennen
PEKING taz ■ Durch die chinesischen Zeitungen und das Internet ging in den letzten Tagen ein Bild, das einen Mann zeigte, dünn und gebrechlich, alt, der mit gesenktem Kopf auf den Pflastersteinen der berühmten Marco-Polo-Brücke im Südwesten Pekings kniet, hinter ihm zwei Begleiter einer jüngeren Generation. Es erinnert ein bisschen an den Kniefall Willy Brandts in Warschau, den Kniefall, der den Chinesen immer wieder als Beispiel der deutschen Reue für ihre Taten vor Augen geführt wird. Und nicht nur die Gesten, auch die Anlässe ähneln sich: Der Mann ist Japaner und war Soldat im zweiten Weltkrieg, stationiert in China. Er knie nieder vor dem chinesischen Volk, um sich zu entschuldigen, so wird er in den Medien zitiert.
Doch das ist nicht das einzige Bild, was derzeit zu diesem Thema in verschiedenen Medien zu sehen ist. Der größte Fernsehsender CCTV veröffentlichte Fotos und Namen von den größten chinesischen Helden des Krieges, aber auch chinesische Todesopfer, die Köpfe, abgetrennt vom Körper, auf einem Holzbalken ordentlich aufgereiht und zur Schau gestellt. Im Internet lassen sich die Informationen über den Krieg kaum übersehen. In allen Einzelheiten bereitete die Online-Ausgabe der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua den Hergang des Krieges auf, darin wird er nur „Widerstandskrieg des chinesischen Volkes gegen die japanischen Aggressoren“ genannt. Geschichts- und Militärwissenschaftler diskutieren die Konsequenzen, die dieser Krieg für China hatte. Dabei schwanken die Opferzahlen zwischen dreißig und fünfzig Millionen Menschen. „Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass China das Land war im zweiten Weltkrieg, das am meisten auf der Welt gelitten hat“, so der Historiker Dr. Bian Xiuyue von der chinesischen Sozialakademie.
Im Südwesten der Stadt ist eine Ausstellung eröffnet worden. In ihr werden Szenen des Krieges nachgestellt, mutige Chinesen, die sich einen Hügel hinaufkämpfen, um sich den Japanern in den Weg zu stellen. 600 Fotos zeugen von den Gasangriffen durch die Japaner, die mehrere tausend Chinesen das Leben kosteten, von vergewaltigten Frauen und dem Elend, das der Krieg mit sich brachte. Außerdem liegen die Waffen der Soldaten, ihre Essschalen, ihre Kleidung und ihre zerlöcherten Schuhe in Glasvitrinen und lassen den Besucher die Umstände des Widerstandes erfassen. Die chinesischen Besucher werden darauf aufmerksam gemacht, dass „die schlecht ausgerüsteten, aber mutigen Chinesen viele tausend Japaner in Asien aufhielten, während die westliche Allianz gegen die Deutschen kämpfte“.
Die Intellektuellen hingegen diskutieren die Rolle, die die kommunistische Partei in den Jahren des Widerstandes einnahm. Der Schriftsteller Zhao Dagong aus Shenzhen meint dazu, die Kommunisten seien doch bloß ein loser Haufen von Guerillakämpfern gewesen, den Löwenanteil des Widerstands und auch die Mehrheit der Kriegsopfer hätten die Kuomintang zu verzeichnen. Fragt man jedoch Augenzeugen wie Luo Jingguo, emeritierter Professor für Anglistik, und seinen Freund Xia Zi Qiang, emeritierter Professor für Geschichte, dann sind sich die beiden einig: „Die Kuomintang hat gegen das eigene Volk gekämpft, nicht aber gegen die Japaner.“ Tschiang Kai-tschek, Anführer der Kuomintang, und seine ganze Regierung seien korrupt gewesen. Völlig unverständlich scheint den beiden Professoren, die alle Hochs und Tiefs Chinas, ob Kulturrevolution oder den „großen Sprung nach vorn“, in den letzten achtzig Jahren miterlebt haben, die Meinung des Shenzhener Schriftstellers. Professor Luo schüttelt, sich erinnernd und deutlich gerührt, den Kopf. „Bei uns in der Stadt“, erinnert er sich, „habe ich jeden Morgen Bettler und Leichen am Straßenrand liegen sehen. Die Menschen waren aber verhungert, weil es nichts zu essen gab und nicht wegen der Japaner!“ Die breit genutzten Diskussionsforen im Internet sind sich einig: Die Japaner verzerrten die Geschichte und förderten damit den Militarismus, sind nur einige Kommentare. Die Besuche des japanischen Premierministers Junichiro Koizumi am Yasukuni-Schrein ist immer wieder das Beispiel für die bis heute andauernde „Weigerung der Japaner, ehrliche Reue zu empfinden für ihre Grausamkeiten während des Krieges“, so Geng Zhun. Er war der Anführer eines Aufstandes der Chinesen, die in einem japanischen Konzentrationslager 1944 inhaftiert waren und bis heute keine Entschädigung oder Entschuldigung seitens der Japaner erhielten. Am liebsten hätten die Chinesen in diesen Tagen wohl einen Kniefall, von Junichiro Koizumi, dem japanischen Premierminister. Das zu initiieren dürfte jedoch schwer werden. CHRISTINE KÄTHLER