: Redeblümchen-Revoluzzer im Lego-Schloss
Die Schweriner Schlossfestspiele zeigen „Cyrano de Bergerac“ und machen aus der romantischen Komödie eine ganz und gar nicht sommerlaue Klage gegen Krieg und Leid
Von Jens Fischer
Hinaus auf die Open-Air-Plätze, Sommertheater mit Event-Ambitionen, Veranstalter suchen ihre populäre Nische oder setzen auf Spektakel. Ein Märchen mit Laserlightshow ist in Zinnowitz, Seeräuber-Action in Grevesmühlen zu erleben, Rügen erbebt vor Störtebecker-Stunts und Feuerwerk, Wolgast bedient DDR-Boulevard, Musical gibt es in Greifswald, Operette in Neustrelitz, Musketiere in Stralsund, Wikinger erobern in Barth.
Und nach Schwerin lockt „Cyrano de Bergerac“ mit angewandter Dichtkunst. Wallende Haudegen- und Hofdamen-Kostüme, klirrende Degen, dampfende Kriegsmonumentalszenen, blumig wuchernde Alexandriner sowie die romantische Erfindung von Liebesjuchhe, -schmerz und -ach – sich derart opulent mit der komödiantischen Romanze von Edmond Rostand dem Publikum anzubiedern, das will das verantwortliche Staatstheater allerdings nicht im schmucken Innenhof des Schlosses.
100 Slapstick-Tote
Zwar sind in der Inszenierung von Alejandro Quintanas anfangs Fechtchoreografien im Sprachrhythmus der Reimerei zu erleben, wenn auch häufig ungelenk. Zudem darf Cyrano nach Art des Slapsticks 100 Gegner töten. Aber diese biedere bis zynische Harmlosigkeit des Entertainments ist bald erledigt. Und das Theater besinnt sich auf seine Stärken. Den Hauptfiguren wird psychologisches Profil verliehen. Nicht die Komödie der Liebe, sondern die Tragödie des Verzichts rückt in den Fokus. Philosophische Untertöne werden zu dramaturgischen Melodien aufgewertet und politische Assoziationen eingewoben.
Wenn zu Beginn das NDR-Werbejingle-Tralala zum Stück ertönt, kabarettieren die Darsteller, dass es mit der Weltkulturerbe-Bewerbung Schwerins so nichts werde. Mit lokal- und landespolitischen Anspielungen und ironischen Verweisen auf die Staatstheaterhistorie umgarnen die Mimen das Publikum und kündigen „Hamlet“ an.
Eine Frau mit Totenkopfhalskette paradiert Sein-oder-nicht-sein-Posen und gibt so dem Titelhelden des Abends die Vorlage, um mit provokativen Einwürfen und Wortduellen wie in Rap-Battles seinen ersten Auftritt als einen charakteristischen zu gestalten. Als Kämpfer für das Gute, also gegen deklamatorisch leeres, eitel ästhetisierendes Theater.
Revolution vorausgedacht
Schwerins Cyrano ist nicht nur duellwütiger Tunichtgut, sondern wie der reale Hector Savinien de Cyrano (1619 bis 1655) auch dandyhafter Freigeist und ein revolutionärer Vorausdenker der französischen Aufklärung. „Von hier bis zum“ steht auf der Bühnenbegrenzung, das Ziel selbst, der Mond, schlummert wie in Büchners „Woyzeck“ als eine Art blutiges Eisen in der Bühnenmitte. Ein von der Verzweiflung des Protagonisten längst schon infizierter Sehnsuchtsort.
Hatte Cyrano doch in seinem Roman „Die Staaten und Reiche des Mondes“ den Ich-Erzähler auf dem Erd-Trabanten reisen lassen, um im Abgleich der Lebensformen nicht opportune Überzeugungen des 17. Jahrhunderts aufzuzeigen. Da wird die kopernikanische Wende und Gottes Tod gefeiert, aus Freiheit und Gleichheit ein brüderlich verkostetes Süppchen gekocht, auch die Seele als sterblich beschrieben und der moralinfreie Genuss der Liebes-Wonnen gepredigt. So ist die Mondscheibe in der Inszenierung immer wieder Ort des Räsonnements und Haltsuchens unterm Sternenzelt, dem kein metaphysischer Trost zu entlocken ist.
Vor diesem Hintergrund gibt Martin Bauer den Cyrano weniger als charmetriefenden, den Witz als Zierrat erkorenen Draufgänger der Maskulinität, sondern als sensiblen Draufgänger des Geistes und ziemlich verunsicherten Außenseiter. Er wird für seine Fechtkünste verehrt, wegen seiner satirischen Wortakrobatik gefürchtet – und verlacht. Ist sein Riechkolben doch ein furunkelnder „Riesenrüssel“, wie Cyrano sich schämt.
Das hat ihn bitter, böse, aber eben auch empfindsam und hellsichtig werden lassen. Ausgegrenzt aufgrund seiner Abweichung von der Norm entwickelt er gegen das gesellschaftliche Klischee der äußeren Schönheit seine innere: Moralische Werte.
Bauer zeigt von Anfang an den Schmerz hinter der stupenden Redekunst. Erst recht, wenn es um sein „süß' Verhängnis“, die Fixierung seines Begehrens auf Roxane geht: „Dein Blick und deine Wangen füllen mich mit Furcht und Bangen – wie ich sie nie gekannt.“ Nicht bloß passiv hübsches Anhimmelobjekt der Begierden ist Jennifer Sabel, sondern eine selbstbewusst freche Frau, die dann doch recht naiv ihre Gefühle an Mannsbilder der Kategorie „jung und schön“ heftet: den schnöseligen Schlichtdenker Christian.
Der liebt sie ebenso wie Cyrano. Die Nebenbuhler gehen einen Pakt der Verführung ein. „Ich bin dein Geist, du meine Wohlgestalt“, sagt der empfindsame Poet mit dem Nasenproblem. Fortan souffliert er dem wortkargen Beau seine amourösen Geistesblüten bei einer Romeo-und-Julia-Balkonszene und setzt ihm Liebesbriefe auf.
Im Einsamkeitskokon
Am Thalia Theater in Hamburg inszenierte Leander Haußmann daraus zuletzt eine flott utopische Ménage-à-trois im Taumel blinder Gefühle. In Schwerin sind Menschen im Einsamkeitskokon zu sehen, um sie herum tobt der Krieg, wenn Roxane die Worte und Ideen Cyranos von Christians Lippen küsst. Aber Roxane suhlt sich nur in der Worte Zauber, zitternd entflammt sie damit ihre Fantasie. Will mehr, mehr, mehr von den Redeblümchen. Aber nicht ihn, der all das schreibt mit dem Herz voll Zärtlichkeit. Ahnt nicht den Cyrano als Autor.
Längst gibt es ja auch nichts mehr zu lachen. Über die Aufführung legt sich die erschreckend illusionslose Klage gegen die Barbarei des (französisch-spanischen) Kriegs, die Cyrano als Klage gegen menschlichen Egoismus, gegen Lüge, faule Kompromisse, Feigheit, Vorurteil, Korruption, Gleichgültigkeit, Dummheit und all das wendet, was sonst noch die Zivilgesellschaft untergräbt. Kein Happy End, nirgends.
Nach dem Kriegstod Christians quält Roxane wie eine Schmerzensmadonna ihren Text nur noch aus sich heraus, entdeckt zwar noch Cyranos edle Seele als das, dem sie ihr Leben lang in Liebe zugetan war. „Doch die gibt es nur im Märchenreich“, sagt der Held und stirbt. Bewegend gespielt, fast in Kammerspielintensität. Während die Dialoge mächtig hallen in dem weiten Hof.
Aber die Darsteller behaupten sich gegen die übermächtig prunkvolle Neorenaissance-Kulisse des Mecklenburger Neuschwansteins, das gerade frisch renoviert glänzt, als wäre es ein aus Legosteinen gebautes Cinderella-Schloss. Dem mit „per aspera ad astra“ aber ein passender Kommentar zur Aufführung eingemeißelt ist.
Das Ensemble beendet den Abend mit der Bitte um eine Spende für Seawatch, um etwas gegen das Sterben im Mittelmeer. Mit anderen Worten: Ein nachdrücklicher Gegenentwurf zu nur lauen Sommertheaterabenden.
Mi, 17. 7., bis Sa, 20. 7., im Hof des Schweriner Schlosses, www.mecklenburgisches-staatstheater.de
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