piwik no script img

Du wirst nicht mehr derselbe sein

Die Indierockband El Mató un Policia Motorizado sang am Dienstag im Lido von Empathie und Sehnsucht in einer befremdlichen Welt

Von Timo Berger

Mit der Frage „Eh, ¿quien te va a cuidar?“ (Wer wird auf dich aufpassen?) aus dem Song „El Magnetismo“ zündeten El Mató un Policia Motorizado am Dienstagabend im Lido ein anderthalbstündiges Spektakel und versprachen: „Esta noche es especial … Voy a hacer lo inesperado a hacer“ (Diese Nacht ist besonders … Ich werde das Unerwartete tun). Das klang zunächst vollmundig, doch das Publikum blickte erwartungsvoll zur Bühne.

El Mató aus Argentinien sind heute eine unvermeidliche Referenz in der spanischsprachigen Indieszene. Die lateinamerikanische Community stand Schlange vor dem Lido. Nachdem die lokale Vor-Band Rudolf mit einem kurzen krautrockartigen Set das Publikum angewärmt hatte, verwandelten El Mató den Kreuzberger Club in einen Vorort von Buenos Aires. Vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, dass die Band keinerlei Konzessionen an den Auftrittsort machte, der sonst auf Konzerten auswärtiger Künstler so oft gehörte anbiedernde Berlinkommentar entfiel ebenso wie Ansagen auf Englisch.

Mit einer solchen Selbstverständlichkeit rockten El Mató durch ihr Repertoire (drei LPs, vier EPs, alle auf dem mit anderen Musikerkollegen selbstverwalteten Label Laptra), als würden sie hier jede Woche einen Gig spielen. In ihrer Heimat sind sie Headliner von Festivals, spielen in großen Arenen, die Tour durch Europa führt sie dieses Jahr wieder in kleinere Venues quasi an den Anfang ihrer Karriere in der beschaulichen Studentenstadt La Plata.

Eine neue Platte hatten sie zwar nicht im Gepäck, doch ihre nach ihrem mainstreamtauglicheren letzten Album „La síntesis O’Konor“ (2017) nun wieder in etwas härterer Gangart vorgetragene Werkschau zeigte, dass sie eigentlich an einem großen Song arbeiten: Immer wieder kreisen ihre Texte um das Geheimnis der Adoleszenz, die ersten zum Scheitern verurteilten Beziehungen, den Wert der Freundschaft, die Suche nach der eigenen Position in einer befremdlichen Welt.

Das Ende April lancierte Video ihrer Single „El tesoro“ kondensiert, was die Band ausmacht, deren Mitglieder immer noch wie ganz normale Jungs aus der Nachbarschaft aussehen. In dem Videoclip bricht eine Gruppe von Freunden auf Mopeds in die Pampa auf und misst sich in einer Ruine im Schwertkampf und Feuerfußball. Auf die jugendlichen Gesichter zeichnet sich jedoch immer mal wieder ein ironisches Augenzwinkern, ein Lächeln.

Unüberhörbar sind die Einflüsse des US-amerikanischen Indierock (Weird, Sonic Youth, Pixies), aber auch Comics, B-Movies und Collegeserien haben den Sound der Band geprägt. Ihre längeren Songs nutzte die Band auf dem Konzert in Berlin, um in Zonen postrockartiger Dekonstruktion vorzudringen.

So wurden die Schichten hörbar, aus denen die Songs bestehen, das klare Gerüst aus dem den Raum strukturierenden Bass, dem hochfrequenten Schlagzeug, den aufgefächerten Gitarrenakkorden, den Zitaten aus Computerspielsoundtracks und Mangamovies der Keyboards und der sich darüberlegenden Stimme von Santiago Barrionuevo, mit diesem ganz eigenen melancholischen Timbre, in dem aber immer ein Funken Hoffnung liegt. Oft bestehen die meist von Bario­nuevo komponierten Songs nur aus wenigen Zeilen, die mit steigender Intensität wiederholt werden.

Doch erst die generösen Zugaben machten das Lido zur kochenden Arena. Der Soundtechniker hatte nachjustiert, das Publikum tanzte Pogo. Arme, Beine und Torsi verschränkten sich in einer zuckenden Bewegung zu einem einzigen Körper, den das Stroboskoplicht wieder unerbittlich sezierte.

Auf Schweißnähe zum Nächsten, würde ein Gonzojournalist schreiben, führten die wie Beschwörungsformeln wiederholten Songzeilen „Yo no vas a estar igual“ (Du wirst nicht mehr derselbe sein) das Publikum in eine schmanistische Trance mit Aussicht auf Metamorphose. Da war die Bands längst schon wieder in fahles Licht getaucht und trat ab mit einem leisen „Gracias“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen