berliner szenen
: Hängt die falsche Zeit am Ohr

Sie hält ihren karierten Rock an die Seiten und tanzt über den Fahrradweg, vor meiner Arbeit in der Potsdamer Straße. Ihre roten Locken hüpfen auf ihrem Kopf. Sie umarmt mich, sie riecht nach Wildkräutern. Sie gibt mir meinen Schlüssel zurück und einen Ohrring mit einer Uhr, den sie am Samstag selber trug, als sie mit allen ihren Sachen zu mir kam. Wir gaben dem Ohrring einen Namen: „The fake time“, weil wir darin keine richtige Uhrzeit erkennen konnten. Ich sage ihr, dass ich das Geschenk nicht annehmen kann, denn „The fake time“ gehörte ihrer Mutter. Aber sie möchte, dass ich ihn habe, und falls sie mal zurückkommt, dann werden wir sehen.

Sie geht, weil sie genug von Brandenburg habe. „Viel zu viel Natur“, sagt sie. Dafür habe sie Australien nicht verlassen. Wonach sie in Europa sucht, weiß sie auch nicht, sie würde es aber nicht in einem kleinen brandenburgischen Dorf herausfinden. Sie will nach Holland weiterreisen, wo sie Familie hat. Sie möchte nicht durch Länder reisen, wo die Bewohner sich selber nicht eine Reise leisten können. Als „Nachkömmling von Strafgefangenen und Siedlern“ sei Europa für sie O. K.

Wir ziehen durch die Straßen Neuköllns und sie strahlt, als hätte sie Berlin noch nie gesehen, oder als würde sie überhaupt eine Stadt das erste Mal sehen. Wir fahren Rad zum Tempelhofer Feld und summen dabei erfundene Lieder. Unsere Stimmen vibrieren, weil wir eine Straße mit Kopfsteinpflaster nehmen. Auf dem Weg kaufen wir Oliven und gegrillte Paprika, dann Getränke in der Karlsgartenstraße, und als wir ankommen, sind die Menschen gegangen, die auf uns mit einem Picknick warteten. Doch wir bekommen noch ein paar Sonnenstrahlen und lachen uns kaputt über die Leute, die komödiantenhaft vor einem Schwarm Käfer wegrennen.

Luciana Ferrando