: Der Spirit der Community
Die Berliner Soul-Sängerin Astrid North ist gestorben. Am Wochenende wird in der Bar jeder Vernunft ihrer gedacht
Von Christoph Dorner
Das traurige Verstummen von Astrid North kündigte sich im vergangenen Jahr an. Im Dezember 2018 schrieb die Berliner Soul-Musikerin bei Facebook, dass nach ihrer Tour im Frühjahr ein Tumor in ihrer Bauchspeicheldrüse entdeckt worden war. Solche Tumoren werden oft spät entdeckt und sind meistens tödlich. Aufgeben kam für North aber nicht infrage. Sie glaube an die Kraft des Singens, schrieb sie. Und einen Tag später: „Ich hab noch viel vor.“
Im April dieses Jahres postete North ein Foto von einem Kurzauftritt mit dem Liedermacher Stoppok in der Bar jeder Vernunft, jenem Varieté-Theater in Berlin-Wilmersdorf, in dem sie nach den Erfolgen mit den Cultured Pearls so etwas wie ihre letzte künstlerische Bestimmung fand. Das Foto zeigte North bereits ohne ihre Afrolocken, die zu ihr gehörten wie die Tränen, die sie bei ihren Konzerten weinte. Eine Tour als Gastsängerin mit dem Moka Efti Orchestra, das durch die Fernsehserie „Babylon Berlin“ bekannt wurde, schaffte sie im Mai bereits nicht mehr. Am 25. Juni starb Astrid North im Alter von nur 45 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. Sie hinterlässt zwei Kinder.
In seinem bewegenden Nachruf, ebenfalls auf der Facebook-Seite von Astrid North, erzählte der Musikproduzent und Filmemacher Sven Haeusler noch einmal die Anfänge ihrer Geschichte als einen „Schlüpfungsprozess“. Astrid Karina North Radmann, so ihr bürgerlicher Name, wurde 1973 in Westberlin geboren und verbrachte die ersten Lebensjahre bei ihren Großeltern in Houston, Texas. Anfang der 90er Jahre wurden die beiden Hamburger Musikstudenten Peter Hinderthür und Bela Brauckmann auf die junge Musikerin aufmerksam, die schon damals viel zu gut war, um länger bei einer Dance-Band als Background-Sängerin im Bühnenhintergrund dekorativ herumzustehen.
Gemeinsam formen sie die Cultured Pearls, die mit kleineren Charthits wie „Tic Toc“ und „Sugar Honey“, die über fortwährendes Airplay im Mainstream-Radio immer und immer größer werden, zum erweiterten Kanon eines popmusikalischen Jahrzehnts gehören, in dem stilistisch alles möglich und leicht erscheint und in dem die Musikindustrie finanziell noch klotzen kann. Danach bleibt Astrid North auch deshalb in Erinnerung, weil sie mit ihrer angerauchten Stimme, durchaus mit einer Nina Simone vergleichbar, aus den Songs der Band herausragt. Sie überführen Genres wie Funk, Soul, Jazz und Trip-Hop in einen aus heutiger Sicht gefälligen Lounge-Sound, der seinerzeit auch gleich noch für sich in Anspruch nimmt, die Clubmusik der 90er Jahre alltagstauglich klingen zu lassen.
Für Astrid North sind das am Ende zu viele Zugeständnisse, 2003 lösen sich die Cultured Pearls auf. Da hat North bereits ihr erstes Kind bekommen und sich auf die Suche nach ihrem persönlichen musikalischen Ausdruck begeben. Sie findet ihn schließlich im regen Austausch mit Protagonisten aus der Berliner Soulszene, in der man allein mit Musik eher nicht über die Runden kommt. North tritt zunächst nur sporadisch auf. Hilfe, ihre Karriere wieder in Schwung zu bekommen, lehnt sie ab. Nebenbei ist sie Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.
Schließlich veröffentlicht Astrid North doch noch zwei emotional durchlässige Soulalben, „Precious Ruby“ aus dem Jahr 2016 widmete sie ihrer Großmutter in Texas. Im gleichen Jahr startet sie in der Bar jeder Vernunft die Veranstaltungsreihe „North-Lichter“, zu der sie ausschließlich Musikerinnen einlud, um nacheinander und miteinander zu singen und zu improvisieren. Vielleicht habe Astrid North diesen „Community-Spirit“ direkt aus den Gospelkirchen von Texas nach Berlin getragen, schreibt Sven Haeusler in seinem Nachruf. Am Freitag und Samstag kann man die „North-Lichter“ noch einmal in der Bar jeder Vernunft hören. Die Lichtquelle wird dann fehlen.
North-Lichter, Ein Konzert für Astrid North, am 5. + 6. 7. in der Bar jeder Vernunft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen